Warum Deutschland und die EU aufpassen müssen, wie sie mit Russland umgehen

Die beunruhigende Entwicklung auf der Krim führt allmählich zu der bangen Frage, ob Russlands Präsident Wladimir Putin einen Krieg mit der Ukraine anstrebt oder gar mit einer Okkupation des Nachbarstaates einen heißen Konflikt mit dem Westen riskieren will. Nach derzeitigem Stand kann man diese Frage eindeutig beantworten: Nein. Russland wäre vor allem wirtschaftlich nicht gerüstet, um einen Konflikt mit der Nato durchstehen zu können. Putin ist eiskalter Machtmensch, aber kein Hasardeur.

Die Entscheidung des prorussischen Krim-Parlaments für einen Anschluss an Russland oder auch das angestrebte diesbezügliche Referendum haben zwar insofern eine politische Bedeutung, als sie Putin eine Legitimation dafür zu liefern scheinen, um die Krim dauerhaft von der Ukraine abzuspalten. Gefährlich würde der Vorgang aber erst dann, wenn der neue Zar im Kreml diesen Anschluss tatsächlich vollziehen würde. Dies würde einen gefährlichen Dauerkonflikt in Europa zementieren. Derzeit sieht es aber eher danach aus, dass Putin die Krim zu einem russischen Protektorat macht, ohne sie zu annektieren. Doch bereits dies verletzt den mit der Ukraine geschlossenen Freundschaftsvertrag in eklatanter Weise, da das Abkommen ausdrücklich die territoriale Unversehrtheit und Souveränität der Ukraine schützen soll, die für diese Zusicherung immerhin ihre Atomwaffen abgegeben hat.

Der Ruf der US-Regierung nach harten Sanktionen ist nicht zuletzt innenpolitisch begründet – Präsident Barack Obama wird von der republikanischen Opposition in dieser Krise als hilfloses Weichei porträtiert. Es zählt zu den Zynismen unserer Zeit, dass sich die gigantische amerikanische Geheimdienstsparte so sehr auf das Ausspähen von Abermillionen unbescholtener Weltbürger konzentriert hat, dass ihr die Vorbereitungen für eine russische Intervention auf der Krim irgendwie entgangen sind. Die USA können Sanktionen fordern, weil sie wirtschafts- und energiepolitisch unabhängig von Russland sind. Wir EU-Europäer hingegen sind nicht nur direkte Nachbarn der Russen, sondern auch ökonomisch eng mit ihnen verflochten. Diese Nähe verlangt ein besonders scharfes Nachdenken bei der Verhängung von Strafmaßnahmen gegen Moskau. Im Falle eines Konfliktes hilft es immer, sich in die Position der Gegenseite hineinzuversetzen. Dass die Krim mit der russischen Flottenbasis Sewastopol, ja die ganze Ukraine uraltes russisches Interessengebiet und die Ostukraine von ethnischen Russen dominiert ist, ist bekannt. Für Putin bedrohlich war aber nicht nur, dass die Ukraine beim Sturz des korrupten Autokraten Janukowitsch als Moskaus Sicherheitspuffer wegzubrechen begann. Sondern auch, dass an Russlands Westgrenze ein Staat in Chaos und Anarchie zu zerfallen drohte. Der Westen hat diese wichtige russische Sicherheitsperspektive völlig unterschätzt.

Putins rüdes Vorgehen hat einen weiteren unheilvollen Aspekt: Es stellt eine Herausforderung an die politische Kultur Europas dar. Die EU gründet nicht zuletzt auf der Unverletzlichkeit der Grenzen und einer Kultur des Gewaltverzichts. Sollte die EU dem russischen Präsidenten durchgehen lassen, mit militärischen Mitteln einen Teil aus einem souveränen Staat Europas herauszubrechen, dann steht die ganze europäische Ethik auf dem Prüfstand. Auch dies wird ein Element in der Kalkulation Putins sein, dem der politische und kulturelle Pluralismus der EU samt ihrer liberalen Zivilgesellschaft ein Dorn im Auge ist. Insofern erklärt sich auch die teilweise Übereinstimmung Russlands mit China in der ukrainischen Frage.

Gesucht wird nun nicht weniger als die Quadratur des Kreises: Russland empfindlich zu bestrafen, ohne selber all zu viel Schaden zu nehmen, und Moskau zu isolieren, während man mit ihm in engem Dialog bleibt.