„Information Superiority“ – Überlegenheit in der Informationsgewinnung – heißt das Konzept, das hinter den Spionageattacken der USA steht.

Hamburg . „Der Krieg ist das Gebiet der Ungewissheit; drei Viertel derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Krieg gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewissheit.“ Dieser Satz aus dem Buch „Vom Kriege“ des großen preußischen Militärtheoretikers Carl von Clausewitz stammt aus dem Jahre 1837 – doch er ist im Zeitalter der modernen Informationstechnologie gültiger denn je.

Clausewitz‘ „Nebel des Krieges“ sowie jenes Element des Reibungsverlustes im Krieg, den er „Friktion“ nannte, gilt es auch heute zu eliminieren oder doch wenigstens zu minimieren. Das Instrument dazu wird umschrieben mit dem Militärcode „C4ISR“ – Command, Control, Communications, Computer, Intelligence, (Geheimdienstarbeit) Surveillance (Überwachung) und Reconnaissance (Aufklärung). Vor allem Letztere sollen schließlich zur „Information Superiority“ führen, einer vollständigen Überlegenheit in der Informationsgewinnung gegenüber anderen Nationen. Das Streben nach „Information Superiority“ ist die Strategie hinter der scheinbar wahllosen Absaugung von Abermilliarden Daten durch den US-Geheimdienst NSA und sein britisches Gegenstück GCHQ. Zurückhaltung legt sich die NSA allenfalls gegenüber den angelsächsischen Staaten Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien auf, denen man vertraut. Deutschland, als nur „drittrangiger Verbündeter“ eingestuft, gilt dagegen als „Angriffsziel“. Aus deutscher und kontinentaleuropäischer Perspektive haben die Spähprogramme „Prism“ (NSA) und „Tempora“ (GCHQ) also durchaus einen feindseligen Charakter.

Worum es den USA geht, hatte David S. Alberts, damals Direktor einer Forschungsabteilung des US-Verteidigungsministeriums, schon 2001 in seinem Papier „Schlüsselkonzepte zur Information Superiority“ dargelegt.

Information Superiority (IS), so schrieb Alberts, der später auch Forschungsprojekte der Nato leitete, sei der „entscheidende Pfad auf unserem Weg in die Zukunft“. IS gebe einem Land die Möglichkeit, in jenen diffusen Raum vorzudringen, der bislang vom „Nebel des Krieges“ verschleiert werde. Letztes Endes, so meinte Alberts, verwandele sich IS in militärische Kampfkraft. Nun kann man IS begreifen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen den Terror der USA oder bezüglich der militärischen Rivalität mit China oder Russland. Man kann dies aber auch verstehen als entscheidendes Element in der globalen wirtschaftlichen Auseinandersetzung. Die NSA und ihre angelsächsischen Verbündeten nutzten bereits ihr Spionagenetz „Echelon“ zum Ausspionieren deutscher Unternehmen. So wurde berichtet, dass die NSA 1994 das deutsche Unternehmen Enercon abhörte und die Daten an den US-Mitbewerber Kenetech Windpower Inc. weiterleitete. Auch aufgrund von US-Spionage soll Airbus einen milliardenschweren Auftrag in Saudi-Arabien verloren haben. Ausdrücklich verweist Alberts in seinem Strategiepapier darauf, dass Information Superiority sowohl für die wirtschaftliche als auch für die militärische Anwendung gelte.

Wirtschaftsspionage widerspricht dem freien Wettbewerb im Westen

Der Echelon-Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments erklärte damals, wenn das Spionagesystem dazu missbraucht werde, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, stehe dies im Widerspruch zum Konzept des freien Wettbewerbs.

In einem Strategiepapier der Vereinigten Stabschefs der US-Streitkräfte wird „Information Superiority“ definiert als „Grad der Dominanz im Bereich der Information, der es gestattet, Operationen durchzuführen, ohne auf wirksamen Widerstand zu stoßen“. Pentagon-Experte Alberts meinte, IS sei „ein Zustand, der erreicht wurde, indem ein relativer Informationsvorsprung erarbeitet wurde, mit dessen Hilfe man einen Vorteil im Wettbewerb erzielen kann. Und auf der Internet-Plattform ,Information Warfare Site‘ (IWS), die sich mit dem ,Informationskrieg‘ befasst, wird der Begriff Superiority (Überlegenheit) bewusst durch Dominance“ (Dominanz) ersetzt, da er besser beschreibe, um was es geht. „Information Dominance“ sei ein Zustand, der aus der Anwendung von offensiven und defensiven IT-Operationen resultiere – mit dem Ziel, einen umfassenden Wissensvorsprung aufzubauen, der entscheidend sei für den Erfolg einer Mission. „Information Superiority“ sei hingegen die Fähigkeit, einen ununterbrochenen Strom an Information zu sammeln, zu verarbeiten und zu analysieren, während man dem Gegner die Fähigkeit verwehrt, dasselbe zu tun.

Das Mobiltelefon ist Informationsquelle über das tägliche Leben der Menschen

Das Papier aus dem Pentagon definiert auch den umfassenden Begriff „Information“ etwas näher. Dabei kann es sich handeln um reine, unstrukturierte Daten, um Informationen im eigentlichen Sinne, das heißt also Daten, die in einem erkennbaren Zusammenhang stehen, oder sogar um Wissen – das reine Information bereits in einen Zusammenhang stellt mit Ursache, Wirkung, Zeitfaktor und Analyse. Insofern ist der Zweck von „Information Superiority“ auch nicht die reine Sammlung von Daten, sondern auch deren Auswertung. Die NSA hat die Analyse der abgesaugten Daten auch an mehrere zivile Unternehmen vergeben. Da diese zum Teil größeren Wirtschaftsunternehmen angehören, darf davon ausgegangen werden, dass die von „Prism“ und „Tempora“ erhobenen Daten auch der US-Wirtschaft zugute kommen.

In einem Forschungspapier der Denkfabrik Rand Corporation, das sich mit dem Kampf des US-Militärs gegen Aufständische in Kriegsgebieten befasste und vom Pentagon finanziert wurde, heißt es, wenn man wissen wolle, wie sich Menschen im Alltag bewegen und wie sie interagieren, dann gebe es kaum eine reichere Informationsquelle als das Mobiltelefon.

Daher sollten die Sicherheitsbehörden den verstärkten Gebrauch von Mobiltelefonen propagieren und sicherstellen, dass diese Telefone von registrierten Benutzern verwendet werden. Ferner solle sichergestellt werden, dass die Telefone geortet werden könnten und dass die Behörden die Gesprächs- und Ortsdaten erhalten. Was für den Kampf gegen Aufständische taugt, bewährt sich auch im „normalen“ Spionagealltag. Das auf die USA gern geprägte Wort vom „Großen Bruder“ gilt heute auch im orwellschen Sinne.