Johannes Caspar wirft der Politik Hinhaltetaktik vor. Jetzt wird auch Angela Merkels Handy auf Spionage-Attacken überprüft. Deutsche Wirtschaft warnt vor möglichen Schäden.

Hamburg. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar fordert von den amerikanischen Internetunternehmen Facebook, AOL und Google Auskunft über die Weitergabe von Daten an den US-Geheimdienst NSA. Die Unternehmen sollen außerdem erklären, welche Daten sie speichern und auswerten. Dem NDR Fernsehen sagte Caspar: „Entscheidend ist jetzt, (...) dass man deutlich macht, dass man für die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eintritt“.

Das Vertrauen in die modernen Kommunikationswege sei angesichts der öffentlich gewordenen Überwachungsprogramme amerikanischer und britischer Geheimdienste erschüttert. Es sei jetzt an der Zeit, für Aufklärung zu sorgen. „Im Moment habe ich aber nicht das Gefühl, dass da sehr viel passiert, sowohl von Seiten der Politik als auch von Seiten der Geheimdienste in den USA“, so Caspar gegenüber „NDR aktuell“.

Der Hamburger Datenschutzbeauftragte hat eine Anfrage an die amerikanischen Internetunternehmen facebook, AOL und Google gerichtet. Sie sollen offenlegen, ob sie dem amerikanischen Geheimdienst NSA freiwillig Daten zur Verfügung stellen oder ob sie dazu gesetzlich verpflichtet seien. Außerdem sollen die Unternehmen erklären, welche Daten sie speichern und auswerten.

Die NSA-Spionage-Affäre vergiftet derzeit das Klima zwischen Deutschland und den USA. „Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel, das geht gar nicht“, gab Regierungssprecher Steffen Seibert die Meinung von Bundeskanzlerin Angela Merkel wider. „Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg.“

Die Bundesregierung habe der US-Regierung ihr Befremden übermittelt und um Aufklärung der Vorwürfe gebeten. Der „Spiegel“ hatte berichtet, die NSA spähe gezielt Einrichtungen der EU in Brüssel, Washington und New York aus. Als Reaktion auf die Berichte kündigte die EU an, ihre Gebäude zu überprüfen und bestellte den US-Botschafter ein. Der Fall droht auch die Gespräche über das transatlantische Freihandelsabkommen zu belasten. US-Außenminister John Kerry wies die Kritik zurück.

Der Verdacht: USA betreiben Wirtschaftsspionage

Seibert sagte, Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama würden bald über die Angelegenheit sprechen. Zudem stimme sich Deutschland mit den europäischen Partnern ab. Sollten die Berichte über die massive Ausspähung der Europäer durch die NSA zutreffen, „dann wäre es ein Fall, wo man Vertrauen erst einmal wieder herstellen müsste“. EU-Justizkommissarin Viviane Reding ging noch weiter. „Wir können nicht über einen großen transatlantischen Markt verhandeln, wenn der leiseste Verdacht besteht, dass unsere Partner die Büros unserer Verhandlungsführer ausspionieren.“

„Die EU ist kein Unterstützer von Terroristen, wohl aber ein starker Konkurrent auf dem Weltmarkt“, sagte der Vorsitzende der CSU-Mittelstands-Union, Hans Michelbach. Es müsse daher befürchtet werden, dass die NSA und andere US-Geheimdienste nicht nur europäische Institutionen, sondern auch Unternehmen ausspähten.

Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums reagierte auf solche Befürchtungen mit der Aussage, Wirtschaftsspionage durch die USA wäre auf keinen Fall hinnehmbar. Ressortchef Philipp Rösler (FDP) forderte einen Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments. Die parlamentarischen Ermittler sollten in erster Linie das Verhalten Großbritanniens unter die Lupe nehmen. Der britische Geheimdienst soll einem Bericht des „Guardian“ zufolge in großem Stil transatlantische Telefon- und Internetkabel angezapft und die Informationen auch an die NSA weitergegeben haben.

Die Bundesregierung überprüft unterdessen nach Angaben des Innenministeriums den Schutz der eigenen Kommunikation. Die Regierungsmannschaft von Angela Merkel mailt und telefoniert über besonders geschützte Netze, deren Sicherheitsvorkehrungen nun untersucht werden sollen. Falls die Vorwürfe gegen die USA zutreffen, will auch das Auswärtige Amt den Schutz seiner Botschaftskommunikation auf den aktuellsten Stand bringen.

Die deutsche Industrie ist besorgt

Dem „Spiegel“ zufolge können US-Geheimdienstler mit Wanzen und dem Einbruch in Computernetzwerke Besprechungen belauschen und auf E-Mails und vertrauliche Dokumente zugreifen. Die britische Zeitung „Guardian“ berichtete darüber hinaus, zu den Angriffszielen der NSA zählten auch die Botschaften Frankreichs, Italiens und Griechenlands sowie anderer US-Bündnispartner wie Japan, Mexiko, Südkorea und die Türkei. Großbritannien, Deutschland sowie andere westliche Verbündete tauchten auf der Liste dagegen nicht auf.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat sich über die Spionage-Affäre um den US-Geheimdienst NSA besorgt geäußert. „Die aktuellen Medienberichte über das Ausmaß der Überwachung und Speicherung von Daten durch die NSA sind auch aus Sicht der deutschen Industrie beunruhigend“, erklärte der BDI am Montag. Der Verband wisse bisher nicht, in welchem Umfang deutsche Unternehmen von dem Vorgehen betroffen seien. Wichtige transatlantische Vorhaben wie das Freihandelsabkommen könnten jedoch nur auf der Basis gegenseitigen Vertrauens erfolgreich sein. „Der BDI setzt sich daher dafür ein, dass der Sachverhalt zügig aufgeklärt wird und die Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen im gegenseitigen Respekt und Vertrauen geführt werden“, erklärte der Verband. (ryb/rtr)