Eigentlich müsste die Kanzlerin Barack Obama mit Fragen zu strittigen Punkten überhäufen: Die Diplomatie verbietet dies aber wohl. Deshalb stellen wir sie.

Berlin. Abgesperrte Straßen, versiegelte Gullydeckel und Tausende Polizisten: In Berlin herrscht wegen des insgesamt 25-stündigen Besuchs von US-Präsident Barack Obama am heutigen Mittwoch höchste Alarmbereitschaft. Höhepunkt des Programms soll um 15 Uhr die Rede des Präsidenten am Brandenburger Tor vor 6000 geladenen Gästen sein – fast genau 50 Jahre nach dem berühmten Auftritt John F. Kennedys. Nach seiner Rede wird sich der US-Präsident am späteren Mittwochnachmittag mit SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück treffen. Abgeschlossen wird Obamas Visite mit einem festlichen Abendessen im Schloss Charlottenburg. Um 21.30 Uhr soll die „Air Force One“ dann wieder in Berlin-Tegel abheben.

Der politische Teil des Besuchs beginnt am Vormittag kurz vor zehn Uhr mit einem Empfang bei Bundespräsident Joachim Gauck. Um elf Uhr wird sich Obama dann mehrere Stunden lang mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beraten, von der auch die Einladung für die Visite kam. Im Anschluss gibt es eine Pressekonferenz. Streng nach Protokoll handelt es sich dabei um keinen Staats-, sondern nur um einen Arbeitsbesuch. Beide Seiten hoben in den vergangenen Tagen immer wieder die Bedeutung der deutsch-amerikanischen Freundschaft hervor. Erwartet wird jedoch, dass beim Treffen von Obama und Merkel auch kontroverse Themen zur Sprache kommen, darunter etwa Drohnenangriffe von deutschem Boden aus, Guantánamo oder das amerikanische Internet-Spähprogramm „Prism“. Mit ihm erheben die Amerikaner weltweit Daten von Millionen Internetnutzern – wahrscheinlich sind auch Deutsche darunter.

Ehrlichen Antworten dürfte aber die Diplomatie im Weg stehen. Dabei gibt es drängende Fragen: Wir haben der Kanzlerin die wichtigsten in den Mund gelegt. Die Antworten kennen nur Obama und sein enges Umfeld. Wir fassen zusammen, was bisher bekannt ist und welche Haltung die Bundesregierung einnimmt.

Wie umfangreich werden Internet-Nutzer mit „Prism“ ausgespäht?

Eines steht mittlerweile fest: An der Existenz des Spähprogramms „Prism“ besteht kein Zweifel mehr. Nun musste sogar Obama im Gespräch mit dem US-Fernsehsender PBS zähneknirschend zugeben: Ja, es gibt ein solches Programm. Er bestätigte damit die Enthüllung des ehemaligen Technikers Edward Snowden, über die zunächst die amerikanische „Washington Post“ und der britische „Guardian“ berichtet hatten. Demnach greift der Geheimdienst NSA direkt auf Millionen Nutzerdaten von Internet-Konzernen zu. Unternehmen wie Facebook oder Microsoft sprechen von Zehntausenden Anfragen der Behörden in den ersten Monaten dieses Jahres. Ein Gesuch gilt jeweils für ein Kundenkonto – dahinter verbirgt sich wiederum ein Vielfaches an Informationen über den jeweiligen Nutzer und sein Netzwerk.

Ist das Abhören überhaupt erlaubt?

Die Rechtsgrundlage ist der Patriot Act – ein Gesetz, das in Folge der Terror-Anschläge vom 11. September 2001 beschlossen wurde und die Bürgerrechte in den USA teilweise einschränkt. Sicherheitsbehörden dürfen unter anderem die Kommunikation zwischen Nicht-Amerikanern sowie zwischen Nicht-Amerikanern und Amerikanern abhören. Es ist jedoch fraglich, ob man eine massenhafte Datenabfrage so sauber trennen kann. Obama hat nach eigener Auskunft mittlerweile zur Überprüfung der Spähprogramme ein Gremium für Bürgerrechte und den Schutz der Privatsphäre eingesetzt. Er wolle eine allgemeine Debatte über den Umgang mit Datensammlungen anstoßen, sagte der Präsident. Über ein mögliches Aus des Programms sagte Obama nichts. Vielmehr wolle man „Prism“ nicht weiter „kompromittieren“.

Wird es noch mehr Enthüllungen geben?

Womöglich gibt es jenseits von „Prism“ ein weiteres Überwachungsprogramm, das viel umfangreicher ist. Darüber berichtete vor ein paar Tagen jedenfalls die zumeist sehr verlässliche US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Kommunikationsunternehmen wie Apple, Facebook oder Google berichten nämlich lediglich über Zehntausende Anfragen. Enthüller Snowden berichtete jedoch von umfassenden Zugriffsmöglichkeiten der NSA. Nach Angaben von AP handelt es sich bei „Prism“ lediglich um ein Filterprogramm. Die NSA könne jedoch auch direkt den Internet-Traffic, der über die USA läuft, anzapfen und kopieren.

Werden auch deutsche Bürger belauscht?

Darüber ist bisher nichts bekannt. Es gilt jedoch als wahrscheinlich. Auf einer Weltkarte, die Auskunft über das Ausmaß der NSA-Aktivitäten gibt, ist Deutschland wie die USA oder China orange eingefärbt. Grün markiert Staaten, die am wenigsten überwacht werden. Rot heißt, hier ist die NSA besonders aktiv. Das US-Militär hat in Ramstein einen seiner wichtigsten Stützpunkte. Die Internetaktivisten der Digitalen Gesellschaft haben die US-Regierung aufgrund des „Prism“-Programms nun angezeigt: Man gehe davon aus, dass es sich dabei um staatliche Spionage handele, bei der private und staatliche Geheimnisse ausgeforscht wurden.

Warum ist die Bundesregierung zurückhaltend?

Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche einen Fragenkatalog an die US-Regierung geschickt. Antworten stehen noch aus. In Sicherheitskreisen wird deutlich darauf hingewiesen, dass Deutschland von den geheimdienstlichen Informationen aus Amerika profitiert. Dank eines Tipps aus den USA wurde zum Beispiel der Attentatsversuch der sogenannten Sauerland-Gruppe vereitelt. Ein Zurechtweisen wäre daher völlig unangebracht, meinen Sicherheitsexperten. Zudem geht der für das Ausland zuständige Bundesnachrichtendienst (BND) ähnlich vor wie die amerikanische NSA. Ihm ist zum Beispiel per Gesetz erlaubt, E-Mails mit Absendern oder Adressaten aus dem Ausland mitzulesen.

Warum wollen die USA Waffen an Syriens Rebellen liefern?

Die USA sind seit Freitag davon überzeugt, dass das syrische Regime von Machthaber Baschar al-Assad Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzt. Die Opposition im Land soll deshalb militärische Unterstützung bekommen. Deutschland lehnt die Lieferung von Waffen in das Bürgerkriegsland strikt ab – auch im Unterschied zu EU-Partnern wie Frankreich und Großbritannien. Eigene Erkenntnisse über einen Giftgas-Einsatz hat Berlin nach offiziellen Angaben nicht.

Werden von Deutschland aus Drohnenangriffe gesteuert?

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 führen die USA ihren Kampf gegen Terroristen in Ländern wie Afghanistan, Pakistan und Somalia mit Hilfe von Kampfdrohnen. Völkerrechtler sprechen von einem Verstoß gegen internationales Recht. Gezielte Tötungen außerhalb eines bewaffneten Konflikts seien Hinrichtungen ohne Gerichtsprozess. Häufig wurden auch Zivilisten getötet. Solche Tötungen per Knopfdruck aus der Distanz steuern die USA womöglich auch von Deutschland aus. Washington dementierte Ende Mai Medienberichte nicht, wonach das Afrika-Kommando der US-Streitkräfte in Stuttgart und der US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein (Rheinland-Pfalz) an Einsätzen in Somalia beteiligt gewesen sein soll. Die Bundesregierung weiß nach eigenen Angaben nichts davon.

Wann wird Guantánamo geschlossen?

Das Versprechen zu Beginn seiner Amtsübernahme 2009, das weltweit kritisierte Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba zu schließen, hat Obama in seiner ersten Amtsperiode nicht gehalten. Und noch immer sitzen dort 166 Terrorverdächtige ein, die meisten ohne Gerichtsverfahren. Jüngst bekräftigte Obama sein Versprechen. Er forderte den Kongress auf, Hindernisse zum Transfer von Gefangenen in andere Länder zu lockern. Die Bundesregierung mahnt, der Entschluss liege nicht nur im Interesse der Glaubwürdigkeit der USA als führende Demokratie, sondern auch in dem der transatlantisch- freiheitlichen Wertegemeinschaft. Dass Guantánamo immer noch besteht, hat viele Menschen auch in Deutschland enttäuscht.

Warum wird die Todesstrafe nicht abgeschafft?

Die USA gehören immer noch zu den Ländern, in denen es Hinrichtungen gibt. Laut offizieller Jahresstatistik von Amnesty International wurden dort im vergangen Jahr 43 verurteilte Mörder vom Staat getötet. Die Bundesregierung ist gegen die Todesstrafe.