Das Regime wolle jede Ecke Syriens “säubern“ und alle töten, die ihre Waffen behalten, stand auf den Blättern. Luftangriffe ausgeweitet.

Berlin/Damaskus. In Syrien setzt die Regierung von Präsident Baschar Assad im Konflikt mit den Rebellen nun auch auf psychologische Kriegsführung: Von Militärhubschraubern wurden am Dienstag über Damaskus Tausende Flugblätter mit deutlichen Drohungen abgeworfen. Die Aufständischen sollten ihre Waffen aushändigen oder sich auf einen „unvermeidbaren Tod“ einstellen, hieß es darauf. Die Regierungstruppen seien entschlossen, „jede Ecke Syriens zu säubern“. Unterzeichnet waren die Flugblätter vom Generalstab der Streitkräfte. Unterdessen warb die syrische Opposition in Berlin für Pläne nach dem Sturz von Assad. Der französische Präsident François Hollande forderte die Opposition auf, eine Übergangsregierung zu bilden.

Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen sind seit März 2011 im syrischen Bürgerkrieg bereits mehr als 20.000 Menschen ums Leben gekommen. Am Dienstag wurden erneut Kämpfe aus der Hauptstadt Damaskus und der Wirtschaftsmetropole Aleppo gemeldet. Offenbar versuchten Streitkräfte der Regierung, von Rebellen besetzte Stadtviertel zurückzuerobern. Dabei sollen in den vergangenen Tagen Hunderte Menschen getötet worden sein. In Daraja, einem Vorort von Damaskus, gab es Hinweise darauf, dass Assads Soldaten Massentötungen auch an Zivilisten zu verantworten haben. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte eine unverzügliche und unabhängige Untersuchung des jüngsten Massakers.

Die amtliche syrische Nachrichtenagentur SANA meldete aus einem anderen Vorort von Damaskus, Dscharamana, mehrere tote Zivilisten, die durch eine Autobombe ums Leben gekommen seien. Die Explosion habe eine Trauerprozession getroffen und sei der dritte Anschlag in dem Vorort innerhalb von 24 Stunden gewesen. SANA machte bewaffnete „Terroristen“ für die jüngste Explosion verantwortlich.

Die Opposition bereite „ernsthaft“ die Bildung einer Übergangsregierung vor, sagte derweil Abdelbasset Sieda, Führer des Syrischen Nationalrats, der Nachrichtenagentur AP in einem Telefoninterview. „Ja, es gibt Unterschiede in der syrischen Opposition und das ist in jedem Land normal, aber solange wir einer gemeinsamen Vorstellung zustimmen, können die Unterschiede überwunden werden“, sagte Sieda zu internationalen Stimmen, dass die Opposition noch nicht reif für die Regierungsverantwortung sei. Die Vorstellung eines provisorischen Kabinetts sei nicht „unmittelbar“ zu erwarten, räumte Sieda ein.

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Das Flüchtlingshilfswerk der UN berichtete am Dienstag von sieben toten Syrern, die an Bord eines vor der Küste Zyperns gesunkenen Fischerboots gewesen seien. Das Flüchtlingshilfswerk bereite sich mit der türkischen Regierung darauf vor, weitere 150.000 Flüchtlinge zu versorgen, falls sich der Konflikt verschärfe, sagte Sprecherin Melissa Fleming in Genf. Bisher seien 214.120 Flüchtlinge registriert.

Das syrische Regime setzt jetzt auch immer stärker auf den Einsatz der Luftwaffe. Die Kämpfe in Damaskus erreichen derweil auch Stadtteile, die von der Gewalt bislang weitgehend verschont geblieben waren. Unter den Rebellen zirkulieren inzwischen Todeslisten mit Namen von regimetreuen Journalisten und anderen zivilen Unterstützern von Präsident Baschar al-Assad.

Bei Angriffen mit Hubschraubern und Mig-Kampfflugzeugen auf das Dorf Kafr Nabl in der Provinz Idlib sollen am Dienstag 23 Menschen getötet worden sein. Aktivisten veröffentlichten Videoaufnahmen, die zerstörte Gebäude und brennende Fahrzeuge zeigen.

Angriffe der Regimetruppen auf sogenannte „Märtyrerbegräbnisse“ hat es seit Beginn des Aufstandes im März 2011 mehrfach gegeben. Dies war nach Einschätzung von Beobachtern der erste derartige Angriff während der Beerdigung von Zivilisten, die dem Regime nahestanden.

Insgesamt starben in Syrien am Dienstag nach Informationen von Aktivisten und Augenzeugen mehr als 90 Menschen. Die meisten Opfer gab es in Idlib und im Umland von Damaskus. Am Montag hatte die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter insgesamt 230 Tote gezählt. Aus den Damaszener Vororten Al-Ghuta und Kafr Batna flohen nach Angriffen der Armee nach Angaben von Regimegegner Hunderte von Menschen. Die Zivilisten hätten Angst vor einer Offensive gegen bewaffnete Revolutionäre in diesen Bezirken, hieß es.

Die wenigen Oppositionsgruppen, die vom syrischen Regime geduldet werden, planen unterdessen eine „Konferenz zur Rettung Syriens“. Ziel des Treffens am 12. September sei ein „grundsätzlicher Wandel des aktuellen Regimes mit friedlichen Mitteln und ohne ausländische Einmischung“, erklärten die Organisatoren in Damaskus. An der Konferenz wollen sich mehrere kurdische Parteien beteiligen sowie das Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (NCC). Die meisten syrischen Oppositionellen sind aus Angst vor Verfolgung ins Ausland geflüchtet. Einige sitzen im Gefängnis, andere starben durch Folter oder bei Gefechten.

Im Libanon kam ein Kuwaiter frei, der am vergangenen Wochenende in der Bekaa-Ebene verschleppt worden war. Nach seiner Freilassung sagte er, seine Entführer hätten ihm vorgeworfen, er finanziere syrische Rebellen. Nach Angaben der Polizei wurden im Libanon nahe der syrischen Grenze drei syrische Arbeiter auf einer Baustelle von Granaten verletzt, die von der syrischen Seite aus abgefeuert worden waren.

Mit Material von dpa und dapd