Die Nationalversammlung wählt den früheren Oppositionsführer al-Megarif zum Staatsoberhaupt. Er wird bis zum kommenden Jahr regieren.

Tripolis. Nach Jahrzehnten der Alleinherrschaft unter Muammar al-Gaddafi hat die libysche Nationalversammlung einen wichtigen Grundstein für die Bildung einer demokratischen Regierung gelegt: Die neue Nationalversammlung wählte am Freitag den früheren Oppositionsführer Mohammed al-Megarif zum Übergangspräsidenten des Landes. Al-Megarif gewann die Wahl am frühen Morgen mit 113 zu 85 Stimmen gegen einen anderen Oppositionsführer, Ali Sidan. Beide sind ehemalige Diplomaten, die seit den 80er-Jahren im Exil lebten.

Al-Megarif war ein führender Kopf der ältesten Oppositionsbewegung des Landes, der Nationalen Front für die Rettung Libyens, die mehrere Versuche unternahm, Ex-Machthaber Gaddafi zu stürzen. 2005 etwa berief die Bewegung die erste Konferenz der libyschen Opposition in London ein und forderte ein Ende des libyschen Regimes.

+++ Früherer Gaddafi-Gegner wird libyscher Übergangspräsident +++

Al-Megarif, der als gemäßigter Islamist gilt, folgt dem Vorsitzenden des Übergangsrats, Mustafa Abdul Dschalil. Er wird bis zum Inkrafttreten einer neuen Verfassung im kommenden Jahr im Amt bleiben. Der Übergangsrat hatte am Mittwoch seine Befugnisse an die im Juli gewählte 200-köpfige Nationalversammlung abgetreten.

Das Gremium wird nun innerhalb von 30 Tagen einen Ministerpräsidenten bestimmen und ein Verfahren zur Einsetzung einer 60-köpfigen verfassunggebenden Versammlung festlegen. In der Nationalversammlung gibt es drei große Blöcke: Islamisten, darunter die islamistische Muslimbruderschaft und ultrakonservative Salafisten, Liberale und Gemäßigte unter Führung von Mahmud Dschibril, der während des Aufstands Ministerpräsident war, sowie Unabhängige.

Seit dem Sieg der Aufständischen über Gaddafi vor rund einem Jahr hatte der Übergangsrat das Land regiert. Diesem ist es unter anderem nicht gelungen, die mächtigen Milizen zu einer nationalen Streitkraft zu vereinen. Stattdessen kommt es in verschiedenen Landesteilen immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Milizen und rivalisierenden Stämmen. Hinzu kommt, dass noch immer zahlreiche Waffen aus dem Bürgerkrieg im Umlauf sind. In der östlichen Metropole Bengasi sprengten Unbekannte eine leer stehende Geheimdienstzentrale in die Luft. Nach bewaffneten Angriffen auf seine Einrichtungen setzte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) seine Tätigkeit in Bengasi und in der Mittelmeerstadt Misrata aus.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag verlangte indes von Libyen Auskünfte über die Haftbedingungen des Gaddafi-Sohns Saif al-Islam al-Gaddafi. Die Richter setzten Tripolis dafür eine Frist bis zum 7. September. Das Gericht beschuldigt den jüngeren Gaddafi der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und verlangt seine Auslieferung. Er soll für Morde und Verfolgung während des Aufstandes in Libyen 2011 mitverantwortlich sein. Saif al-Islam wird derzeit von einer lokalen Miliz in der westlibyschen Stadt Al-Sintan gefangen gehalten, auf die die Zentralregierung in Tripolis angeblich keinen Einfluss hat. Dieselbe Miliz hatte im Juni ein Anwälte-Team des IStGH festgesetzt und fast einen Monat festgehalten.