Italiens Ministerpräsident ist auch Medienmogul, Fußball-Funktionär und Macho. Gescheitert ist er an seinen Affären - und auch an sich selbst.

Hamburg/Rom. Am Ende bleibt nur ein fassungsloses Kopfschütteln: Wie um Himmels willen konnte das alles so lange gut gehen? Die Scheinheiligkeit, der Narzissmus, die Clownerie, das Machogehabe, die Schmierengeschichten und Schlagzeilen, die Anklagen und die Prozesse. Dreimal wählten die Italiener Silvio Berlusconi zu ihrem Ministerpräsidenten, 51-mal hat er in seiner Regierungszeit die Vertrauensfrage gestellt. Immer hieß es: "Si". Ja, die Abgeordneten vertrauten dem Cavaliere. Drei Gerichtsverfahren laufen derzeit gegen Berlusconi, es geht um Steuerhinterziehung, Korruption und eine Sexaffäre. Etliche Prozesse hat Berlusconi schon überstanden.

+++ Ciao, Silvio: Berlusconi wirft das Handtuch +++
+++ Silvio Berlusconi kündigt Rücktritt auf Raten an +++

In Deutschland stürzen Politiker über Bonusmeilen-Affären - Silvio Berlusconi aber prägte 17 Jahre lang die italienische Politik. Trotz seiner Verstrickungen. Oder eben genau aufgrund dieser Verstrickungen.

Wie eine Spinne hatte er sich eingenistet in der Wirtschaft, den Medien, in der Politik Italiens. Fleißig und entschlossen hat er seine Netze gesponnen, fette Beute gemacht und sich zurückgezogen, wenn es eng wurde. Aus dem jungen Berlusconi, der sich Anfang der 60er-Jahre selbstständig machte, wurde ein mächtiger Milliardär und zeitweise der reichste Mann des Landes. Er war Medienmogul, er gründete eine Partei, er saß dem AC Mailand vor. "Nur Napoleon hat mehr getan als ich. Aber ich bin viel größer als er", sagte Berlusconi einmal. Er steht für Italien wie die knatternden Vespas und die gute Pasta. Italien, das bin ich. So sah er sich.

Bis zum Dienstag. Da hat Silvio Berlusconi aufgegeben. Er will bei möglichen Neuwahlen im Februar nicht wieder antreten. Der von ihm ausgewählte Nachfolger Angelino Alfano werde dagegen für seine Partei kandidieren. Doch statt Erleichterung über den Rücktritt bleibt vor allem Ungewissheit. Der angekündigte Rücktritt hat Ängste an den Finanzmärkten und in der europäischen Politik vor einer Eskalation der Schuldenkrise nicht eindämmen können. Aktienmärkte und Euro-Kurs fielen ins Minus, die Zinsen für Staatsanleihen stiegen für Rom erstmals seit der Euro-Einführung auf über sieben Prozent. So wird sich die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone auf Dauer nicht refinanzieren können.

Bundeskanzlerin Angela Merkel rief das hoch verschuldete Land auf, jetzt die notwendigen Reformen zur Überwindung der Schuldenkrise umzusetzen. Und in Rom bemühten sich Präsident Giorgio Napolitano und die Opposition darum, Klarheit über den politischen Kurs Italiens zu schaffen. Regierung und Opposition wollen das geplante Stabilitätsgesetz mit den in Brüssel versprochenen Reformen bis spätestens Montag verabschieden. Doch wird das so schnell funktionieren? Und was passiert nach dem Abgang Berlusconis? Am Tag danach steht Italien vor mehr Fragen denn je.

Am Ende ist Silvio Berlusconi auch an sich selbst gescheitert. Aus den Netzen, die er gesponnen hatte und die ihn zum mächtigsten Mann Italiens gemacht hatten, fand er selbst keinen Ausweg mehr, verzettelte sich, verlor sich. "In ein paar Monaten verschwinde ich aus diesem Scheißland, von dem mir schlecht wird", soll er kürzlich in einem Telefonat mit einem Zeitungsverleger gewütet haben.

Das "Scheißland" hatte ihn 1994 zum ersten Mal zu seinem Ministerpräsidenten gemacht. Bis dahin war er einer von vielen reichen Unternehmern. Dann gründete er eine Partei, Forza Italia, vorwärts sollte es gehen, mit ihm, dem Cavaliere, wie die Italiener ihn nennen. Der Ritter. Der Kavalier.

Kritiker aber werfen Berlusconi vor, er habe seine erste Amtszeit von 1994 bis 1996 hauptsächlich genutzt, um seine privaten Geschäfte voranzutreiben. Er scheiterte schnell - politisch. Doch genauso schnell gelang ihm die Rückkehr an die Macht. Seine Koalition mit Neofaschisten, Christdemokraten und den Separatisten von der Lega Nord hielt von 2001 an die Legislaturperiode durch. Die knappe Wahlniederlage gegen Romano Prodi 2006 hat Berlusconi nie anerkannt. Schon 2008 genoss er mit einem erneuten Wahlsieg die Genugtuung. Berlusconi ist das Stehaufmännchen der italienischen Politik.

Als er 2008 wieder gewählt wurde, kündigte er Reformen und straffes Sparen an. Nur wenig davon konnte Berlusconi erfüllen. Die Wirtschaft ächzt unter hohen Lohnkosten, fetten Lohnlisten der Behörden und einem Bildungssystem, das einen der niedrigsten Anteile an Hochschulabsolventen unter den reichen Ländern hervorbringt. Berlusconi, so beobachteten viele, war zuletzt zu müde geworden, um Italien noch aus der Krise zu holen. Zu müde, um das Rad noch herumzudrehen.

Dabei sah es lange so aus, als würde Berlusconi seine ehrgeizige Karriere in der Politik komplettieren. Eine Karriere, die er sich ganz am Anfang noch als Pianist und Sänger auf Kreuzfahrten finanziert hatte, damals, als der Sohn eines Bankangestellten in Mailand Jura studierte und mit Bestnote abschloss. Im Baugeschäft machte sich Berlusconi schnell selbstständig und investierte in Wohnungen und Gewerbe vor allem in seiner Heimat Mailand.

In den 70er-Jahren stieg er in das Mediengeschäft ein. Sein Einfluss insbesondere auf das Fernsehen war es, der ihn Krisen und Skandale überstehen ließ. Er war maßgeblich am Aufbau des Privatfernsehens in Italien beteiligt und vereinte bereits Mitte der 80er fast zwei Drittel der TV-Werbung Italiens in seiner Senderfamilie. Bei seinem Wahlsieg 1994 stand Emilio Fede im Fernsehstudio und moderierte die Nachrichten des Senders TG4. Vor den Augen von Millionen Zuschauern begann Fede zu weinen. Vor Freude. Fede war damals Chefredakteur. Der Fernsehsender gehörte Silvio Berlusconi.

Es gibt weitere solcher Anekdoten, die zeigen, wie Berlusconi seine Medien und seine Macht verbunden hat.

Über die Holdings Fininvest und Mediaset ist Berlusconi heute an Filmproduktionsgesellschaften, Videotheken und Verlagen beteiligt. Und an Sportvereinen wie dem AC Mailand. Von 1986 bis 2004 war er Präsident des Fußballklubs. Mit seinem Geld verpflichtete Berlusconi einen neuen Trainer und dann die Stars: Ruud Gullit, Marco van Basten und Frank Rijkaard. Für Fußballfans klingen die Namen der Niederländer nach goldenen Zeiten.

Das Team gewann mehrmals die Champions League und wurde in dieser Zeit siebenmal italienischer Meister. Berlusconi war Patron dieses Erfolgs. Er zeigte sich im Stadion, mit Spielern und den Pokalen. Erst 2004 zwang ihn ein Gesetz zur Regelung des Interessenkonflikts zum Rücktritt. 2006 kam er noch einmal als Präsident zurück.

Berlusconi liebt den Fußball. Und die Frauen. Er hat daraus nie einen Hehl gemacht. In Telefonaten mit dem Geschäftsmann Gianpaolo Tarantini prahlte Berlusconi damit, dass in einer Nacht elf Frauen vor seinem Zimmer Schlange gestanden hätten. Er habe nur mit acht von ihnen geschlafen, weil "du es ja nicht mit allen treiben kannst". Tarantini wurde inzwischen festgenommen, wegen mutmaßlicher Erpressung Berlusconis. Der Regierungschef steht in der als "Rubygate" bekannt gewordenen Affäre vor Gericht. Er soll für Sex mit einer Minderjährigen bezahlt haben. Es gab immer neue Enthüllungen über neue "Bunga-Bunga"-Orgien. 2009 veröffentlichte eine Zeitung Fotos halb nackter Frauen auf Berlusconis Anwesen in Sardinien.

Berlusconi fiel auf - in der Wirtschaft, der Politik. Sein Lebenslauf rennt den Schlagzeilen hinterher. Und er selbst auch. Er sagte über seine Eskapaden, er komme kaum noch zum Regieren. Ein Spaß. Und Italien hat mit 1,9 Billionen Euro den weltweit dritthöchsten Schuldenstand aufgetürmt.