Die Abstimmung über den Rechenschaftsbericht Berlusconis sollte Routine sein - und wurde für den Premier zum Debakel. Nun endet seine Ära.

Rom. Bye, bye, Berlusconi : Die politische Karriere des italienischen Ministerpräsidenten steht vor dem Ende. Der in zahlreiche Sex- und Korruptionsskandale verwickelte 75-Jährige werde nach der Verabschiedung des nächsten Haushaltsgesetzes zurücktreten, sagte Staatspräsident Giorgio Napolitano nach einem Gespräch mit dem Regierungschef am Dienstagabend in Rom. Zuvor hatte Berlusconi zwar eine Haushaltsabstimmung im Abgeordnetenhaus gewonnen, aber keine absolute Mehrheit hinter sich. Sein Koalitionspartner Umberto Bossi von der Lega Nord hatte ihn zum Rücktritt aufgefordert. Die Finanzmärkte reagierten mit Kursgewinnen auf die Ankündigung des Präsidenten. Die Debatte über Berlusconis Nachfolger läuft auf Hochtouren.

Ersetzt werden könnte er durch den Generalsekretär der Regierungspartei PDL, Angelino Alfano. Im Gespräch sind aber auch andere Kandidaten, darunter der ehemalige EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti als Chef einer Übergangsregierung aus Technokraten. Berlusconi lehnt Wahlen allerdings bisher ab. Ihn könnte auch sein enger Vertrauter, Kabinettsminister Gianni Letta als Regierungschefs beerben.

Berlusconi hatte bislang alle Rücktrittsforderungen zurückgewiesen und seit 2008 über 50 Vertrauensabstimmungen überstanden. „Ich weiche nicht“, zitierte ihn die Zeitung „Il Giornale“, die dem Bruder des konservativen Politikers und Medien-Milliardärs gehört. Das Blatt verglich den Regierungschef mit Jesus und abtrünnige Abgeordnete seiner Mitte-Rechts-Koalition mit Judas. „Ich will denen, die mich verraten, ins Gesicht schauen“, sagte Berlusconi der Zeitung.

Aus Sicht der Barclays Bank ist es für einen Kurswechsel in Italien womöglich schon zu spät. „Die historische Erfahrung lehrt, dass sich selbst verstärkende negative Marktdynamiken nur sehr schwer brechen lassen. Für Italien gibt es möglicherweise keine Umkehr mehr“, schrieben die Analysten.

Die Euro-Finanzminister wollen verhindern, dass die Schuldenkrise in Italien eskaliert und das Land zum Fall für den Rettungsfonds EFSF wird. „Italien weiß selbst, dass im Hinblick auf die Größe des Landes man nicht auf Hilfe von außen hoffen kann“, sagte Österreichs Finanzministerin Maria Fekter. Finnlands Regierungschef Jyrki Katainen sagte, Italien sei zu groß, um von seinen europäischen Partnern gerettet zu werden.

Die Regierung in Rom hatte auf Druck der Euro-Partner Strukturreformen zugesagt, um das Wachstum auf Trab zu bringen, darunter eine Deregulierung am Dienstleistungsmarkt, eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und die Lockerung des Kündigungsschutzes. Das Land wird dabei wie die Sanierungsfälle Griechenland, Irland und Portugal von einer Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds überwacht. EU und EZB werden in den kommenden Tagen Experten nach Rom schicken, um die Reformpläne zu prüfen.

Der Rechenschaftsbericht wurde vom Parlament abgenickt, aber Silvio Belusconi war arg angeschlagen und hatte eine herbe Niederlage erlitten. Die Opposition witterte Morgenluft, die Abtrünnigen aus den eigenen Reihen taten ihr Übriges. Sie alle führten den italienischen Regierungschef vor und führten dem ganzen Kontinent Berlusconis Schwäche vor Augen. Der Premier ist von einer absoluten Mehrheit weiter denn je entfernt und sieht seine letzten Felle im Tiber davonschwimmen.

Es ist nicht mehr viel geblieben vom "vorwärts gehen". Silvio Berlusconi wollte keine "nicht gewählte" Übergangsregierung in Rom an seiner Stelle. Mit dieser Botschaft hatte er noch am Dienstag versucht, die jüngste und möglicherweise letzte Schlacht um sein politisches Überleben zu gewinnen. Nun aber überrannten ihn seine Gegner. All jene, die nicht abstimmten, waren plötzlich rein numerisch in der Überzahl - oder politisch korrekt: Sie bilden nun die absolute Mehrheit. Kann ein angeschlagener Regierungschef so weitermachen? Die Antwort gab Napolitano.

Eine „Routineangelegenheit“ scheint so zur Falltür für den 75-jährigen Medienzar und Milliardär aus Mailand geworden zu sein. Denn der Rechenschaftsbericht 2010, der seiner Mitte-Rechts-Regierung bereits einmal, Mitte Oktober, eine schallende Ohrfeige im Parlament eingebracht hatte , ist normalerweise für Regierende eine Formalie. Vor dem Hintergrund der verschärften Krise um Berlusconi wuchs sich der zweimal abgestimmte Regierungsbericht jedoch zur Feuerprobe aus.

Die italienische Nachrichtenagentur ANSA hatte nach der Abstimmung unter Berufung auf Regierungskreise am Dienstag berichtet, Berlusconi werde bei dem treffen mit Napolitano am Abend nicht seinen Rücktritt einreichen. Stattdessen wolle er mit dem Staatschef über die Ergebnisse der Abstimmung diskutieren, bei der Berlusconi die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer verlor. Nun aber verkündete der Staatspräsident doch das Ende der Ära Berlusconi.

Direkt nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Abstimmung am Nachmittag hatte die Opposition erneut den Rücktritt Berlusconis gefordert, um die nervösen Finanzmärkte zu beruhigen. Die Renditen italienischer Staatsanleihen waren am Dienstag auf den höchsten Stand seit der Euro-Einführung 1999 gestiegen.

Risikoaufschläge für Staatsanleihen erreichen Rekordwert

„Die Regierung hat nicht die Mehrheit!“, rief Oppositionsführer Pierluigi Bersani nach der Abstimmung. „Wir wissen alle, dass Italien die reale Gefahr läuft, in den kommenden Tagen Zugang zu den Finanzmärkten zu verlieren.“ Bersani bezog sich auf die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen, die am Morgen auf einen Rekordwert von zeitweise 6,74 Prozent gestiegen waren. Am Vortag hatten sie noch 6,40 Prozent betragen, am Freitag 6,20 Prozent.

Durch die steigenden Renditen wird es für das schuldengeplagte Land immer teurer, sich frisches Geld an den Märkten zu besorgen. Die italienische Staatsverschuldung liegt mit 120 Prozent so hoch wie bis auf Griechenland in keinem anderen Euro-Land. Die Schulden der drittgrößten europäischen Volkswirtschaft sind mit etwa 1,9 Billionen Euro nach Ansicht von Experten zu hoch, als dass Italien von Europa im Notfall gerettet werden könnte.

Berlusconi studierte das Abstimmungsergebnis aufmerksam. Von den 321 Enthaltungen dürften die meisten aus den Reihen der linksgerichteten Opposition stammen, die diesen Schritt schon im Vorfeld angekündigt hatte.

Bossi fordert Berlusconis Abgang

Berlusconi reagierte auf die erneute Rücktrittsforderung an ihn nicht umgehend, bislang hatte er sich jedoch hartnäckig geweigert, seinen Posten als Regierungschef vor dem Ende seiner Amtszeit 2013 aufzugeben. Erst kurz vor der Abstimmung hatte Lega-Nord-Chef Umberto Bossi offen den Rücktritt seines Koalitionspartners gefordert. „Wir haben ihn gebeten zurückzutreten, einen Schritt beiseitezutreten“, sagte der Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei am Dienstag bei seiner Ankunft am Parlament zu Journalisten.

Bossi sagte, der Mann, den Berlusconi bereits zu seinem möglichen Nachfolger auserwählt hat, der ehemalige Justizminister Angelino Alfano, solle die Regierungsführung übernehmen. Es ist allerdings die Entscheidung von Präsident Napolitano, ob er einen neuen Ministerpräsidenten ernennt oder das Parlament auflöst und Neuwahlen ausruft. Berlusconis wankelmütiger Koalitionspartner hat den italienischen Regierungschef schon einmal zu Fall gebracht. 1994 entzog Bossi Berlusconi das Vertrauen und es kam zum Sturz der Regierung.

Zuletzt haben sie alle „Katz und Maus“ mit Berlusconi gespielt, dem einst erfolgsverwöhnten und gewieften Taktiker aus Italiens Norden. Die Finanzmärkte reagierten millimetergenau auf Gerüchte und Spekulation über einen Rücktritt des „Cavaliere“ – wurde Berlusconi doch von Politikern, Analysten und Medien als entscheidender Grund für ein Glaubwürdigkeitsproblem Italiens genannt. Auf dem G20-Gipfel in Cannes gedemütigt, als die Staats- und Regierungschefs der anderen Industrieländer auch den Internationalen Währungsfonds als finanzpolitischen Wachhund für Italien benannten, vertiefte sich seine Krise nur noch weiter.

+++ Rendite für italienische Staatsanleihen steigen auf Rekordhoch +++

„Regierungen werden vom Volk gewählt und nicht von den Finanzmärkten“ – das war eine der Begründungen, mit denen sich Berlusconi gegen den immensen Druck der Rekord-Risikoaufschläge für die italienischen Staatsanleihen zur Wehr setzen wollte. Er musste in den dreieinhalb Jahren seiner Koalitionsregierung mit ansehen, wie seine Mehrheit im Abgeordnetenhaus allen Versprechungen an neue Bündnispartner zum Trotz weiter schrumpfte. Mitunter war auch gar keine Mehrheit für die Mitte-Rechts-Koalition aus seiner PdL (Volk der Freiheit) und Umberto Bossis rechtspopulistischer Lega Nord mehr da. Aber irgendwie schaffte es der geschickte Medienzar immer wieder.

Nur jetzt scheint es nicht mehr um die Frage zu gehen, ob er das Handtuch werfen muss, sondern nur noch: wann und wie? In den Umfragen geht es seit Monaten in den Keller. Der Juniorpartner Lega Nord, der schon einmal eine Regierung Berlusconi gestürzt hat, wird immer widerspenstiger. Und die Absetzbewegung aus seiner eigenen Partei geriet zum immer gefährlicheren Strudel, so dass es so aussah, als klammere sich ein realitätsferner Berlusconi verzweifelt an seine Vision, doch alles nochmal zusammenleimen zu können.

+++ Berlusconi: Rücktrittsgerüchte "entbehren jeder Grundlage" +++

Doch Italien blieb bisher das einzige der stark von der Finanz- und Schuldenkrise erfassten Südländer der EU, in dem sich bei der Regierung nichts Dramatisches zu tun schien. In Spanien gibt es Neuwahlen, und auch die Griechen suchen nach einer neuen Regierung - und einem neuen Regierungschef.

So oder so fühlt er sich „verraten“, von Männern und Frauen aus seiner ganz auf ihn zugeschnittenen Regierungspartei. Und darum soll er von der Option gesprochen haben, mit der Vertrauensfrage im Senat zu den Europa versprochenen zusätzlichen Reformen und Sparbemühungen „die Verräter aufzuspüren“. Für politische Beobachter offenbarte sich so ein erfolgsverwöhnter Mann, der über Macht und Milliarden verfügt, jedoch nicht verlieren kann. Immerhin hat Berlusconi die längsten Nachkriegsregierungen Italiens geleitet, es also immer wieder auch geschafft, seine Reihen – oftmals mühsam – geschlossen zu halten.