Israel und Hamas tauschen Gefangene aus. Doch eine wirkliche Annäherung ist noch weit entfernt. Hamas droht mit neuen Entführungen.

Tel Aviv. Gewalt und hartnäckige Unnachgiebigkeit haben schon immer die Beziehung zwischen Israel und Palästina geprägt. Nun erreichten die Unterhändler beider Seiten eine spektakuläre Einigung: Israel und die radikal-islamische Hamas in Gaza haben einen Gefangenenaustausch vereinbart. Der vor mehr als fünf Jahren verschleppte israelische Soldat Gilad Schalit kommt im Gegenzug für 1027 Palästinenser schon Anfang kommender Woche aus der Hamas-Gefangenschaft frei. So zumindest die Vereinbarung. Deutsche und ägyptische Vermittler haben dies möglich gemacht. Am Sonntag will Israel die Namen von mehreren hundert Palästinensern freigeben, die auf freien Fuß gesetzt werden sollen. Das teilte der Sprecher von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Ofir Gendelman, am Mittwoch via Twitter mit. Damit bekommt der Tausch für die palästinensische Seite aber einen fahlen Beischmack.

Denn nach der Veröffentlichung der Namen hätten die israelischen Bürger 48 Stunden Zeit, gegen die geplante Freilassung einzelner Palästinenser Einspruch zu erheben, berichtete die Zeitung „Jediot Achronot“ unter Berufung auf Informationen aus dem Justizministerium. Der Fernsehsender Channel 10 ergänzte, die Bürger könnten sich in solchen Fällen an den Obersten Gerichtshof wenden. Allerdings revidiert der Gerichtshof nur selten politische Entscheidungen.

+++Israelischer Soldat Schalit soll in Ägypten sein+++

Die Hamas drohte allerdings umgehend mit weiteren Entführungen. „Der zionistische Soldat Gilad Schalit wird nicht der letzte sein, solange die Besatzungsmacht (Israel) palästinensische Gefangene festhält“, sagte der Sprecher des bewaffneten Arms der Hamas, Abu Obeida, laut einer in Gaza verbreiteten Mitteilung. In israelischen Gefängnissen werden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Betselem mehr als 5200 Palästinenser festgehalten, weil sie Angriffe auf Israelis verübt haben oder die Sicherheit Israels gefährden.

Im Westen löste die Einigung auf den Gefangenenaustausch auch neue Hoffnung für die angestrebte Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen aus. Im Gespräch ist nach den Worten von Diplomaten ein Treffen am 23. Oktober in der jordanischen Hauptstadt Amman. Die deutsche Regierung begrüßte den Austausch.

„Für die gesamte Bundesregierung ist jetzt das Allerwichtigste, dass Gilad Schalit endlich freikommt“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Einzelheiten der deutschen Vermittlung nannte er nicht. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND), der längere Zeit zwischen der Hamas und Israel vermittelt hatte, wollte nichts sagen.

Die erste Phase des Gefangenaustauschs beginnt möglicherweise am Montag. Dann würden 450 in israelischen Gefängnissen inhaftierte Männer und 27 Palästinenserinnen zum Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen gefahren, sagte der Sprecher der Organisation Volkswiderstandskomitee (PRC), Abu Attaya, der Nachrichtenagentur dpa. Zeitgleich werde der Israeli Schalit über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten gebracht. Binnen zwei Monaten sollen 550 weitere militante Kämpfer freikommen.

Das PRC hatte zusammen mit dem bewaffneten Arm der Hamas, den Al-Kassam-Brigaden, und der Armee des Islams am 25. Juni 2006 Schalit in das kleine Palästinensergebiet am Mittelmeer verschleppt. Seit einer Videobotschaft von Anfang Oktober 2009 gab es von dem Soldaten kein Lebenszeichen mehr. Der 25-Jährige war der letzte lebende israelische Soldat in den Händen militanter arabischer Gruppen.

Die Freilassung Schalits hat auch Auswirkungen auf andere Staaten in der Region. So könnte der Iran weiter unter Druck geraten. Der Iran unterstützt die Hamas. Sollte sich Israel entscheiden, militärisch gegen das iranische Atomprogramm vorzugehen, wäre Schalit nicht mehr in Gefahr.

Die Einigung zum Austausch der Gefangenen, gegen die sich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu früher gewehrt hatte, habe auch mit Iran zu tun, kommentierte die Zeitung „Jediot Achronot“. „Dies wird den nationalen Konsens stärken und das Ansehen des Ministerpräsidenten im Vorfeld der kommenden Herausforderungen verbessern.“

Der Austausch ist in Israel nicht unumstritten. Zum einen wehren sich die Hinterbliebenen von Opfern, dass Mörder oder Hintermänner freigelassen werden. Zum anderen gibt es Befürchtungen, dass einige der Freigelassenen den bewaffneten Kampf gegen Israel fortsetzen könnten.

+++Der Frieden ist in weiter Ferne+++

„Es ist das beste Abkommen, das wir in diesen stürmischen Zeiten im Nahen Osten erzielen konnten“, rechtfertige Netanjahu die Entscheidung. Dagegen zitierte die Tageszeitung „Jediot Achronot“ den Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Joram Cohen“, wonach sich beide Seiten bereits vor drei Jahren schon auf 90 Prozent des Handels geeinigt hätten.

„Ich habe mein Versprechen gehalten und bringe Ihren Sohn und Enkel zurück“, sagte Netanjahu der Familie Schalits. „Die Freude ist unbeschreiblich“, sagte Gilads Mutter Aviva, nachdem das israelische Kabinett der Vereinbarung zugestimmt hatte. „Wir werden mit großem Bangen die Woche oder zehn Tage warten, bis Gilad zurückkommt.“

Nach Bekanntwerden des Gefangenenaustauschs feierten im Gazastreifen tausende von Palästinensern spontan auf den Straßen und schwenkten grüne Hamas-Flaggen. Auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas begrüßte die Vereinbarung. Sein Minister für die Belange palästinensischer Flüchtlinge, Issa Karake, kritisierte den von Hamas ausgehandelten Austausch jedoch. „Hamas hätte einen besseren Handel vereinbaren können“, sagte der Politiker.

Mit Material von dpa