Familien von Opfern des Terrors finden den Preis von 1000 freizulassenden Palästinensern zu hoch. Austausch soll Anfang der Woche beginnen.

Hamburg. In den frühen Morgenstunden des 25. Juni 2006 drangen militante Palästinenser durch einen Tunnel aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet bei Kerem Schalom vor und griffen einen Militärposten an. Zwei israelische Soldaten starben, vier wurden bei einem kurzen, heftigen Gefecht verwundet. Unter den Verletzten war der damals 19-jährige Korporal (etwa: Stabsgefreiter) Gilad Schalit; er wurde von den Terroristen verschleppt.

An dem Überfall sollen neben der radikalen Splittergruppe Dschaisch al-Islam auch die Al-Aksa-Märtyrerbrigaden und der Islamische Dschihad beteiligt gewesen sein. Offiziell bekannten sich die Essedin-al-Qassam-Brigaden zu der Tat, der bewaffnete Arm der im Gazastreifen herrschenden Hamas.

Fünfeinhalb Jahre lang blieb Schalit verschwunden. Hinter den Kulissen wurde zäh verhandelt, auch mit Beteiligung des deutschen Bundesnachrichtendienstes. Doch erst vor einigen Tagen erreichte Gilats Eltern Noam und Aviva Schalit die erlösende Nachricht: Ihr Sohn kommt im Zuge eines spektakulären Gefangenenaustausches mit der Hamas frei. Jahrelang hatten sie in einem Zelt direkt vor dem Amtssitz des israelischen Ministerpräsidenten kampiert - aus Protest gegen die angebliche Untätigkeit der Regierung.

Die stand unter Druck: Einerseits ist es jüdische Militärtradition, jeden Soldaten irgendwann wieder nach Hause zu bringen, andererseits sperrte sich die Hamas lange Zeit gegen einen Austausch und stellte dann schließlich unerhörte Forderungen. Immer wieder scheiterten diplomatische Vorstöße, auch der ägyptischen Regierung. Als Noam Schalit einmal gefragt wurde, wie er mit der Situation klarkomme, antwortete er verzweifelt: "Gar nicht."

Aber die dramatischen Veränderungen in der arabischen Welt zwangen beide Seiten zu einem Kompromiss. Israel fühlte sich zunehmend isoliert, selbst unter den Verbündeten, und die Hamas betrachtete mit Sorge den Vormarsch demokratisch gesinnter Kräfte in der Region und die Schwächung des verbündeten syrischen Assad-Regimes.

Zudem wollte die Hamas, der im Gazastreifen die politische Unterstützung wegbricht, einen Erfolg vorweisen können und den innerpalästinensischen Rivalen Fatah damit treffen.

Eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen spielten Ägyptens Geheimdienst und ein Sondergesandter des Bundesnachrichtendienstes. Möglicherweise hatte auch der schon legendäre BND-Agent und Nahost-Spezialist Gerhard Conrad seine Hände im Spiel. BND-Chef Ernst Uhrlau räumte die Beteiligung seines Dienstes ein; Israels Premier Benjamin Netanjahu bedankte sich bei Kanzlerin Angela Merkel.

Gilad Schalit soll Anfang der Woche über Ägypten nach Israel ausgeflogen werden. Dass nun im Austausch gegen ihn 1000 palästinensische Gefangene freikommen sollen, darunter 279, die wegen Terrorakten zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, feiert die Hamas als großen politischen Sieg. Allerdings ist der palästinensische Volksheld Marwan Barghuti, der wegen Mordes und Terror einsitzt, nicht dabei. Obwohl auch Netanjahu daheim mit der Freilassung Schalits punkten kann, schlägt ihm auch offener Widerstand entgegen - vor allem seitens Angehöriger von Terroropfern.

Deren Organisation Almagor (Furchtlos) teilte mit, seit dem Jahre 2000 seien bereits 180 Israelis von freigelassenen Terroristen ermordet worden. Almagor wies darauf hin, dass beim ähnlich gelagerten "Jibril-Austausch" von 1985, bei dem 1150 Palästinenser freigekommen waren, fast die Hälfte von ihnen sofort wieder Terrorakte beging. Mehrere israelische Parlamentarier wandten sich vehement gegen den Deal; ein Minister sprach gar von einem "Sieg des Terrorismus". Yoram Cohen, Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, räumte ein, es sei "kein guter Deal" - aber die einzige Chance, Schalit endlich nach Hause zu holen.