Bundespräsident Wulff sprach von „Unannehmlichkeiten“ wegen der angespannten Sicherheitslage. Gül beharrt auf EU-Beitritt.

Berlin. Morgens die Ehrengarde der Bundeswehr, danach zum Bundespräsidenten ins Schloss Bellevue, nachmittags eine Tasse Tee in einem türkischen Restaurant. Dazu das Berlin-Touristenprogramm mit Brandenburger Tor und exklusiver Museumsführung mit Mauerresten. Nur die Bombendrohung in der Humboldt-Universität hat Abdullah Gül den ersten Tag seines Deutschland-Besuches verdorben. Aber in einer Woche, in der Berlin den türkischen Staatspräsidenten und den deutschen Papst Benedikt XVI. zu Gast hat , sind Anschläge und die Aktionen von Verrückten zu befürchten. Das war auch das Thema beim Staatsbankett, das Bundespräsident Christian Wulff für Gül gab.

Unmittelbar vor Güls Rede in der Humboldt-Universität ließ die Polizei den Saal räumen. Später hielt Gül seine Ansprache in einem anderen Raum. Beim Staatsbankett im Schloss Bellevue bedauerte Bundespräsident Wulff die Unannehmlichkeiten. Gül selbst ging nicht näher auf den Zwischenfall ein, betonte aber: „Wir haben wirklich eine außerordentliche Beziehung zwischen unseren Ländern.“

Zum Auftakt seines Besuches kritisierte Gül die deutsche Visapflicht für Türken und das Einwandererrecht. Die Visapflicht etwa für türkische Geschäftsleute nannte er ein Hindernis für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen. Wulff sprach sich für Erleichterungen aus. Die Bundesregierung sollte Verbesserungsmöglichkeiten prüfen und umsetzen, sagte Wulff beim Deutsch-Türkischen Handelsforum 2011 in Berlin. Deutschland wolle die Nummer eins im Handel mit der Türkei bleiben.

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Güls kuriose Ansichten

Beim Bankett erinnerte Wulff an den 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei. Unzählige Menschen aus der Türkei seien seitdem „mit Fleiß und Talent“ nach Deutschland gekommen. „Wir sind froh darüber, denn sie bereichern unser Land und die Beziehungen zwischen unseren Ländern.“ Der friedvolle Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen sei besonders wichtig. „Je mehr wir übereinander wissen, umso weniger erliegen wir Vorurteilen.“

Auf wenig Gegenliebe stieß Gül mit seiner Forderung, das 2007 verschärfte deutsche Einwanderungsrecht zu ändern. Insbesondere wendet sich die Türkei gegen die Regelung, wonach künftige Ehepartner aus der Türkei vor ihrer Einreise deutsche Sprachkenntnisse nachweisen müssen. Für die Bundesregierung sagte Staatsministerin Maria Böhmer, die Kritik entbehre jeder Grundlage. „Deutschkurse sind von unmittelbarem Nutzen für die Zuwanderer“, sagte sie. Auch Wulff sagte, insbesondere türkische Frauen dürften wegen mangelnder Sprachkenntnisse „nicht in einer Parallelgesellschaft verharren.“

Der türkische Präsident bekräftigte auch den Wunsch nach einem EU-Beitritt seines Landes. „Von diesem strategischen Ziel werden wir nicht abrücken“, sagte Gül auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Wulff. Die Formulierung „strategische Partnerschaft“, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) der Türkei angeboten hat, lehnte Gül ab. Die Türkei müsse die Chance erhalten, die ins Stocken geratenen Verhandlungen mit der EU erfolgreich abzuschließen. Danach müssten die Mitgliedsländer und auch das türkische Volk entscheiden.

Wulff sprach von „fairen und ergebnisoffenen Beitrittsverhandlungen“. Deutschland habe hier eher eine Vermittlerrolle und sei nicht besonders kritisch gegenüber dem türkischen EU-Beitritt. „Die Türkei muss sich anstrengen, Europa aber auch“, sagte Wulff. Er hob die gewachsene internationale Verantwortung der Türkei hervor und forderte, die Veränderungen in der arabischen Welt als Chance zu begreifen. Die Türkei könne mit ihrer Verbindung von Pluralismus und Islam Vorbild sein für arabische und nordafrikanische Länder.

Am zweiten Tag seines Staatsbesuches trifft Gül mit Bundeskanzlerin Merkel zusammen. Nach dem Gespräch im Kanzleramt reist Gül mit Bundespräsident Wulff weiter in dessen Heimatstadt Osnabrück. Damit revanchiert sich Wulff für eine Einladung des türkischen Staatspräsidenten im vergangenen Jahr in dessen zentralanatolischen Geburtsort Kayseri. In Osnabrück besuchen die beiden Staatsoberhäupter unter anderem die Universität, die seit einem Jahr den bundesweit ersten Weiterbildungsstudiengang für Imame anbietet.

Unterdessen kann die Religionsgemeinschaft des Islam die Kritik des türkischen Staatspräsidenten Gül an der deutschen Einwanderungspolitik gut nachvollziehen. „Das verschärfte Einwanderungsrecht basiert auf dem Vorurteil, dass Frauenrechte in türkischen Familien häufiger beschnitten werden als in deutschen“, sagte der Vorsitzende der Vereinigung, Ali Demir, der Nachrichtenagentur dpa. Seit August 2007 dürfen Braut oder Bräutigam nur zu ihren in Deutschland lebenden Gatten ziehen, wenn sie Deutschkenntnisse nachweisen. Die Große Koalition wollte damit damals die Integration der nachziehenden Partner – häufig Frauen – vorantreiben und Zwangsheiraten vermeiden. (abendblatt.de/dpa/dapd)