Der geständige Attentäter will unter anderem Zugang zu einem eigenen Computer mit seinem 1500 Seiten umfassenden “Manifest“ haben.

Oslo. Der inhaftierte norwegische Attentäter Anders Behring Breivik stellt für Aussagen über angebliche Mittäter Forderungen an die Polizei. „Es waren verschiedene Forderungen. Einige dieser Forderungen konnten wir ganz unmöglich erfüllen“, sagte der Sprecher der Osloer Kriminalpolizei, Pål Hjort Kraby, am Dienstagabend in der Online-Ausgabe der Zeitung „Verdens Gang“.

Breivik hatte bei seinen zwei Anschlägen in Oslo und auf der Insel Utøya am Freitag mindestens 76 Menschen getötet. Bei Polizeiverhören und vor dem Haftrichter behauptete er, dass es zwei weitere „Zellen“ mit Gleichgesinnten gebe, mit denen er zusammengewirkt habe.

Nach unbestätigten Medienangaben soll der geständige Attentäter unter anderem Zugang zu einem eigenen Computer mit dem von ihm verfassten, 1500 Seiten umfassenden „Manifest“ sowie dem Online-Lexikon Wikipedia verlangt haben. Weiter hieß es, dass Breivik sich nur von ausländischen Psychiatern auf seine Zurechnungsfähigkeit untersuchen lassen wolle.

Kraby bestätigte dies nicht. Nach seinen Angaben in „Verdens Gang“ stellte der an einem geheimen Ort in Untersuchungshaft einsitzende Attentäter Forderungen zum Essen.

Der zuständige Haftrichter hatte am Montag acht Wochen Untersuchungshaft verhängt, davon die ersten vier Wochen mit völliger Kontaktsperre abgesehen vom Verteidiger und der Polizei

Anwalt hält Breivik für geisteskrank

Geisteskrank und eiskalt – der Verteidiger des norwegischen Attentäters Anders Behring Breivik hält seinen Mandanten für eine tief gestörte Persönlichkeit. Auch der Vater Breiviks spricht erschüttert davon, dass sein Sohn nicht normal sein könne. Die Justiz erwägt, Breivik wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit anzuklagen – die Höchststrafe wäre 30 Jahre Haft. Nach nicht bestätigten Berichten prüfen Ermittler, ob der Norweger Kontakte in die rechtsextreme Szene Großbritanniens hatte. Breivik hatte vor dem Haftrichter von zwei Zellen gesprochen, ohne aber Details zu nennen.

Die norwegische Polizei begann am Dienstag damit, die Namen von Opfern der Terroranschläge vom Freitag zu veröffentlichen. Sie will Namen aller mindestens 76 Toten nach und nach bekanntgeben, sobald sie identifiziert und die Angehörigen unterrichtet sind.

Der 32-Jährige glaube, er befinde sich in einem Krieg, schilderte sein Anwalt Geir Lippestad. „Und wenn du in einem Krieg bist, kannst du Dinge wie diese machen“, erläuterte er die Sicht seines Mandanten. Der Attentäter sei eine „sehr kalte Person“. „Er hat kein Mitgefühl mit den Opfern gezeigt“, sagte Lippestad. „Die ganze Sache deutet darauf hin, dass er geisteskrank ist.“ Diese Linie werde er vor Gericht verfolgen.

Weil die Polizei einen Selbstmordversuch des Inhaftierten befürchtet, steht er im Gefängnis unter permanenter Beobachtung. „Der Inhaftierte wird mit Blick auf einen möglichen Selbstmord kontinuierlich überwacht“, sagte der Osloer Kriposprecher Pål Hjort Kraby im Fernsehsender TV2.

Der Vater des Massenmörders will nie wieder Kontakt zu seinem Sohn haben. „In meinen schlimmsten Stunden denke ich, er hätte sich sein eigenes Leben nehmen sollen, statt so viele andere Menschen zu töten“, sagte Jens Breivik, der im Ruhestand ist, dem Sender TV2. „Ich verstehe noch immer nicht, wie jemand so etwas tun kann. Das ist kein normaler Mensch, der so etwas tut.“

Die Staatsanwaltschaft erwägt nach einem Bericht der Zeitung „Aftenposten“ eine Anklage wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit mit einer Höchststrafe von 30 Jahren Haft. Die Maximalstrafe nach dem Terror-Paragrafen im Strafgesetzbuch ist 21 Jahre im Gefängnis.

Sollte das Gericht den Attentäter für unzurechnungsfähig erklären, wäre die dauerhafte Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung wahrscheinlich. Die von der Justiz angekündigte psychiatrische Untersuchung dürfte nach Angaben des Anwalts bis zu zwölf Monate dauern. Auch der Prozess werde eine „ausgesprochen lange und komplizierte Angelegenheit“.

Der Vater, der sein Gesicht im Fernsehen nicht zeigen wollte, sagte, er habe seit 1995 nicht mehr mit seinem Sohn gesprochen. Die Eltern hätten sich schon 1980 getrennt. Als Junge sei Breivik verschlossen, wenig sozial, aber auch nicht extrem gewesen.

Der sich rechtsextremistisch gebende Attentäter hatte am vergangenen Freitag mit einer Bombe Teile des Osloer Regierungsviertels zerstört: Mindestens acht Menschen waren getötet worden. Zwei Stunden später begann er das Massaker auf der Fjordinsel Utøya nordwestlich der Hauptstadt und tötete mindestens 68 Teilnehmer eines sozialdemokratischen Jugendlagers.

Trotz des Blutbades wollen die jungen norwegischen Sozialdemokraten die Insel auch künftig für ihre jährlichen Sommerlager nutzen. Der Vorsitzende der Jugendorganisation, Eskil Pedersen, sagte in Oslo: „In dieser Lage schicken wir eine klare Botschaft: Wir wollen uns Utøya zurückholen.“

Breivik hatte die Anschläge gestanden, hält sich aber für unschuldig. Er hatte als Motiv angegeben, dass er die Arbeiterpartei so hart wie möglich habe treffen wollen. Nach Angaben seines Anwalts war er überrascht, dass er nach dem Bombenanschlag in Oslo überhaupt noch die eine Autostunde entfernte Insel Utøya erreichte.

Norwegens Justizminister Knut Storberget nahm die Polizei gegen Kritik in Schutz. Die Beamten hätten „ausgesprochen gut bei diesem außerordentlichen Einsatz“ gehandelt, sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur NTB bei einem Besuch der Polizeizentrale in Oslo.

Anwalt Lippestad sagte, sein Mandat gebe weiter keine Auskunft zu „zwei Zellen unserer Organisation“ im Ausland: „Er weigert sich, etwas über diese anderen Zellen zu sagen.“

Die britische Polizei geht Berichten nach, dass Breivik Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen des Landes hatte. Mehrere Zeitungen nannten Details, denen zufolge der 32-Jährige im vergangenen Jahr eine Demonstration der ultrarechten English Defence League (EDL) besucht habe und mit deren Mitgliedern über das Internet in Kontakt gewesen sei. Laut „Independent“ und „Daily Telegraph“ hatten rund 150 EDL-Mitglieder über das Internetnetzwerk Facebook Verbindungen zu Breivik.

Das Hacker-Kollektiv Anonymous attackiert das von Breivik im Internet hinterlassene „Manifest“ und rief dazu auf, es drastisch zu verändern und dann weiterzuverbreiten. In der Menge der Fälschungen soll das ursprüngliche Dokument schließlich untergehen. „Sorgt dafür, dass Anders ein Witz wird, dass niemand ihn mehr ernst nimmt“, heißt es in dem Aufruf.

Nach dem Massaker diskutiert die deutsche Politik weiter über eine härtere Gangart gegen die rechte Szene – auch im Internet. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums wies die Forderung nach einem neuen NPD-Verbot abermals zurück.

Der niederländische Islamgegner Geert Wilders, den Breivik in seinem Pamphlet erwähnt hatte, verurteilte die Terroranschläge und nannte den Täter einen „Wahnsinnigen“. Er wies jedwede potenzielle Mitschuld durch seine weithin bekannten islamkritischen Reden vehement zurück. Weder seine Partei für die Freiheit (PVV) noch er selbst seien „verantwortlich für einen einsamen Idioten“.