Norwegens Justiz prüft eine Klage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die maximale Haftstrafe gegen Breivik läge bei 30 statt 21 Jahren.

Oslo. Norwegens Justiz will den Attentäter Anders Behring Breivik möglicherweise wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht stellen. Die norwegische Zeitung „Aftenposten“ berichtete am Dienstag, dass dabei ein Paragraf des Strafgesetzbuches zur Anwendung kommen könnte, der unter anderem die Verfolgung von Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung umfasst.

Der Strafrahmen wäre hier mit bis 30 Jahren Haft höher als bei den maximal 21 Jahren für den bisher von der Justiz verwandten Terror-Paragrafen. Der rechtsradikale Behring hatte den Bombenanschlag in Oslo und das Massaker auf der Insel Utøya mit mindestens 76 Toten damit begründet, dass er die sozialdemokratische Partei Norwegens möglichst hart treffen wollte.

Der 32-Jährige soll in der Haft von zwei Rechtspsychiatern auf seine Zurechnungsfähigkeit untersucht werden. Die meisten seiner Opfer waren Teenager, die ein Sommerlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF besuchten.

Hunderttausende gedenken der Opfer in Norwegen

In Norwegen haben unterdessen Hunderttausende am Montagabend in Oslo und anderen Städten mit „Blumenzügen“ der Opfer der beiden Terroranschläge gedacht. Am Mittag verharrten die Menschen bei einer Schweigeminute. Überall im Land ließen die knapp fünf Millionen Bürger die Arbeit ruhen, Züge hielten an, in der Hauptstadt Oslo ruhte der Straßenverkehr.

Der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik gestand die blutigen Terroranschläge, ist sich aber angeblich keiner Schuld bewusst. Er habe Norwegen und Westeuropa retten wollen, sagte der 32-Jährige zu seinen Motiven am Montag vor dem Haftrichter in Oslo.

Das Gericht verhängte eine achtwöchige Untersuchungshaft gegen den Attentäter. Davon muss Breivik vier Wochen in vollständiger Isolation verbringen, darf weder Besuch empfangen noch Briefe schreiben oder erhalten. Ein Psychiater wird seine Zurechnungsfähigkeit untersuchen.

Die Polizei korrigierte die Zahl der Opfer nach unten. Bei den zwei Anschlägen kamen demnach 76 Menschen ums Leben. Acht starben beim Bombenattentat im Regierungsviertel. Bei dem anschließenden Massaker unter jugendlichen Teilnehmern eines sozialdemokratischen Ferienlagers auf der Insel Utøya gab es 68 Tote. Zuvor gingen die Behörden von 93 Toten aus.

Breivik hatte am Freitag eine 500-Kilo-Bombe im Osloer Regierungsviertel detonieren lassen. Für die Herstellung der Bombe hatte er auf einem Hof bei Oslo sechs Tonnen Kunstdünger gelagert. Die EU-Kommission forderte als Reaktion auf die Anschläge in Norwegen schärfere Kontrollen für den Verkauf von bombentauglichen Chemikalien.

Die Korrektur der Todeszahlen begründete die Polizei mit der „sehr schwierigen Ermittlungslage“. Das gelte vor allem für die Suche nach Toten, Vermissten und Überlebenden auf der kleinen Insel und im Tyrifjord. Dort werde weiter gesucht, entsprechend könnten sich die Zahlen noch ändern.

Vor dem Haftrichter sagte der Attentäter, er habe nicht das Ziel gehabt, so viele Menschen wie möglich zu töten. Vielmehr habe er ein starkes Signal senden wollen, das nicht missverstanden werden könne. Er wollte nach eigenen Angaben der sozialdemokratischen Arbeiterpartei größtmöglichen Schaden zufügen. Sie sei für die massenhafte Einwanderung von Muslimen verantwortlich und habe dafür bezahlen müssen. Breivik sprach von „zwei weiteren Zellen in unserer Organisation“. Weitere Einzelheiten wurden dazu nicht mitgeteilt.

Der Attentäter machte laut Ermittlern „einen ruhigen und unberührten Eindruck“. Polizeiankläger Christian Hatlo berichtete, dass Richter Kim Heger Breiviks Aussagen stoppte, als dieser begann, aus seinem 1500 Seiten umfassenden „Manifest“ vorzulesen. Nach TV-Angaben wies Heger auch einen Antrag Breiviks zurück, bei dem Termin in einer Galauniform zu erscheinen.

Bei der Verhandlung war die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden, obwohl der geständige 32-Jährige bei Verhören ausdrücklich Öffentlichkeit für den Termin gewünscht hatte. Das Gericht begründete die Entscheidung mit Sicherheitsproblemen und Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen. Beim Eintreffen vor dem Osloer Stadtgericht griffen Jugendliche das Auto des Attentäters an. Sie traten gegen den schwarzen Jeep und riefen Beschimpfungen.

Obwohl Norwegen zu den weltweit rund 20 Staaten gehört, die eine lebenslange Haftstrafe abgeschafft haben, kann der Attentäter bei einer Verurteilung dennoch für immer hinter Gittern bleiben. Denn schon beim Urteilsspruch kann ein Gericht die sogenannte Verwahrung („forvaring“) verhängen, deren Ende ungewiss ist. Als psychisch kranker Straftäter käme er in eine geschlossene Fachklinik.

Kritik gab es am Tempo des Polizeieinsatzes. Oslos Polizeichef Anstein Gjengedal sagte, die Antiterroreinheit „Delta“ sei sofort nach dem ersten Alarmruf trotz der vorherigen Bombenexplosion im Regierungsviertel Richtung Jugendlager in Gang gesetzt worden: „Wir waren schnell da.“

Der Attentäter hatte für seinen Angriff auf etwa 600 Jugendliche eine Stunde Zeit, bis er festgenommen wurde. Die Eliteeinheit der Polizei war in Autos aus dem 45 Kilometer entfernten Oslo gekommen. Sie verlor nach Angaben mehrerer Medien Zeit, weil beim Übersetzen auf die kleine Fjordinsel Utøya ein Bootsmotor streikte.

Zu den Opfern des Massakers auf der Insel gehört auch ein Stiefbruder der norwegischen Prinzessin Mette-Marit. Wie die Zeitung „Dagbladet“ berichtete, wurde der 51-jährige Trond Berntsen erschossen, als er seinen zehnjährigen Sohn schützen wollte. Berntsens Vater war mit der Mutter Mette-Marits, Marit Tjessem, verheiratet.