Die Menschen im Südsudan küpfen große Hoffnungen an die Unabhängigkeit ihres Landes. Einige wagen dieser Tage endlich wieder zu träumen.

Juba/Hamburg. Es sind traurige Attribute, die das größte Land Afrikas, der Sudan, auf sich vereint: Der nordostafrikanische Staat, der an Länder wie Ägypten und Libyen im Norden grenzt, im Westen unter anderem an den Tschad, im Süden an Uganda und Kenia und im Osten an Äthiopien und Eritrea, gehört zu den unterentwickeltsten und gefährlichsten Regionen der Welt. Die Menschen leiden an unfassbarer Armut, eine Infrastruktur fehlt fast vollständig. Jahrzehntelanger Bürgerkrieg hat das Land nicht nur zerstört, sondern auch viele Menschen traumatisiert. Am Sonnabend nun wird der Südsudan vom Norden des Landes unabhängig.

In einer Volksabstimmung im Januar dieses Jahres hatte sich die Bevölkerung mit knapp 99 Prozent der Stimmen für einen eigenen Staat ausgesprochen. Das Referendum war einer der wichtigsten Punkte des Friedensabkommens aus dem Jahr 2005, das den 21 Jahre dauernden zweiten Bürgerkrieg zwischen dem arabisch geprägten Norden und dem überwiegend schwarzafrikanischen Süden beendet. Schon von 1955 bis 1972 hatte es zwischen den beiden Landesteilen erbitterte Kämpfe gegeben. Nun setzten die Menschen im Südsudan große Hoffnungen in die Unabhängigkeit, nach den vielen Jahren des unsäglichen Leides. Sieben Schicksale:

"Ich habe fünf Kinder verloren"

Mama Alan Tokino, 41

"Ich habe im Krieg fünf meiner sieben Kinder verloren. Sie starben an Krankheiten, weil es keine Ärzte, keine Krankenhäuser und kein Essen gab. Jetzt gibt es Essen, jetzt verhungern die Kinder nicht mehr. Vor einem Jahr habe ich ein kleines Restaurant eröffnet. Ich habe mit drei Bratpfannen angefangen. Mittlerweile habe ich zwei Restaurants, zwei Teestuben und sechs Angestellte. Ab und zu lasse ich mir von einem Mann aus Uganda Fuß- und Fingernägel lackieren. Als Restaurant-Chefin muss ich schließlich auf ein gepflegtes Äußeres achten."

"Ich war Kindersoldat"

John Agar, 37

"Ich war Kindersoldat. Ich bin mit neun Jahren von zu Hause weggelaufen, um mich den Freiheitskämpfern anzuschließen. Meine Eltern wollten das nicht, aber ich wollte kämpfen. Ich hatte eine Kalaschnikow. Natürlich habe ich Menschen getötet. Viele sogar. Ich habe meine ganze Kindheit verloren. Aber es hat sich gelohnt. Wir sind endlich frei! Die Rebellen haben mich nach zwei Jahren im Busch zur Schule nach Kuba geschickt. Die SPLA hatte einen guten Draht zu Castro. Später habe ich in Kanada Bauingenieur studiert. Ich bin vor einem Jahr in meine befreite Heimat zurückgekehrt. Jetzt baue ich ein Fünf-Sterne-Hotel. Es soll am 9. Juli eröffnet werden."

"Ich kämpfte vor 50 Jahren"

Agakaring Agang, 61

"Ich habe vor fast 50 Jahren im ersten Sezessionskrieg als Kindersoldat für unsere Freiheit gekämpft. Jetzt kriegen wir endlich unseren eigenen Staat. Aber nur Gott weiß, ob der Frieden auch wirklich halten wird. Wer sagt uns, dass die Araber nicht wiederkommen, um unsere Frauen, Kinder und Rinder zu rauben? Und was nützt uns der Frieden, wenn wir arm sind? Die Regierung muss jetzt schnell Straßen, Krankenhäuser und Schulen bauen, damit es uns bald besser geht als unter der Sklaverei der Araber."

"Ich habe alles verloren"

Madina Abulei, 38

"Ich habe im Krieg meine Mutter, meinen Vater, meinen Mann und zwei meiner Töchter verloren. Endlich hat ihr Tod einen Sinn, denn wir sind frei, und jetzt wird das Leben gut! Ich verkaufe am Straßenrand Tee und geröstete Erdnüsse. Wenn wir ein eigener Staat sind, kommen die ganzen internationalen Hilfsorganisationen. Dann hat jeder mehr Geld und kann sich meine Nüsse und meinen Tee leisten. Dann wird es endlich auch mir besser gehen."

"Warum haben wir uns getötet?"

Taha Ibrahim, 26

"Mein Basketball-Team macht nächste Woche bei den südsudanesischen Meisterschaften mit. Die besten Spieler bekommen ein Basketball-Stipendium für die USA. Zwei Jungs aus unserer Region sind in Amerika große Stars. Wir trainieren hier alle für den Traum NBA. Mein Vater kommt aus dem Norden, meine Mutter aus dem Süden - und sie lieben sich. Ich habe fast den ganzen Krieg hier verbracht und konnte nie verstehen, warum wir uns gegenseitig töten. Mit der Unabhängigkeit werden wir endlich Bürger erster Klasse. Dann gehen die ganzen guten Jobs nicht mehr automatisch an die Araber aus dem Norden. Aber am besten wäre es natürlich, es klappt mit der NBA."

"Mein Vater starb im Krieg"

Angelina Kwat, 21

"Mein Vater war Soldat und starb im Krieg. Ich war damals sieben Jahre alt. Mit meiner Mutter und meinen fünf jüngeren Geschwistern flohen wir zu Fuß in den Norden. Ich kann mich kaum noch an diese schreckliche Zeit erinnern. Mittlerweile habe ich selbst drei Kinder. Ich bin zurückgekommen, um meine Stimme beim Referendum abzugeben, und bin geblieben, auch wenn ich hier nichts habe. Aber hier bin ich zu Hause. Hier sollen meine Kinder in Frieden aufwachsen, zur Schule gehen und einmal Lehrer oder Ingenieur werden, um unser Land aufzubauen."

"Endlich selbst Gemüse anbauen"

Silver Iwa, 30

"Ich war acht Jahre alt, als ich mit meinen Eltern und Geschwistern vor dem Krieg nach Uganda floh. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass wir manchmal drei Tage lang nichts zu essen hatten. In Uganda haben wir in Flüchtlingslagern der Uno gelebt. Es war furchtbar, denn wir waren immer auf Lebensmittelhilfslieferungen angewiesen. In meiner Familie waren immer alle Bauern. Jetzt kann ich zum ersten Mal selbst für meine Frau und meine vier Kinder Kassawa (Maniokwurzeln) anbauen. Endlich bin ich nicht mehr auf Almosen von anderen Menschen angewiesen."