Recep Tayyip Erdogan hat zum dritten Mal die Parlamentswahlen in der Türkei gewonnen, aber für eine Verfassungsänderung benötigt er Hilfe.

Hamburg/Ankara. Es ist ein Triumph mit einem bitteren Beigeschmack. Da hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zum dritten Mal in Folge die Parlamentswahlen gewonnen und kann weitere vier Jahre regieren; er ist mittlerweile der mächtigste Regierungschef, den die Türkei seit Jahrzehnten hatte.

Und doch hat Erdogan, der "Sultan von Ankara", sein Traumziel verfehlt - eine Zweidrittelmehrheit im Parlament hätte ihm erlaubt, die türkische Verfassung notfalls im Alleingang zu ändern. Ihm schwebt eine Präsidialrepublik nach französischem Modell vor - natürlich mit Erdogan als Staatschef mit außerordentlicher Machtfülle.

Seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) hätte dafür aber mindestens 330 der 550 Mandate im Parlament zu Ankara erringen müssen - tatsächlich sind es aber nur 325. Das sind sogar weniger als vor der Wahl - da waren es noch 331 Sitze. Mit mindestens 330 Stimmen plus einem Referendum hätte Erdogan die Verfassung ändern können - mit mindestens 367 Sitzen sogar im Schnellgang.

Aber die rechtsgerichtete Nationalistische Aktion (MHP) schaffte es überraschend über die hohe Zehn-Prozent-Hürde, die das türkische Wahlsystem kennt, und erreichte 13 Prozent. Die stärkste Oppositionskraft, die Republikanische Volkspartei (CHP), erzielte 26 Prozent, die AKP 50 Prozent. Die Wahlbeteiligung war enorm hoch und lag bei 87 Prozent. Erdogan gab sich bescheiden, sagte, er wolle nun im breiten Konsens mit den übrigen Parteien eine neue Verfassung ausarbeiten. Er werde diesen Konsens aber auch mit den nicht im Parlament vertretenen Parteien, mit den Medien, Nichtregierungsorganisationen, Akademikern sowie "mit jedem, der etwas zu sagen hat", suchen.

Vom Balkon der AKP-Zentrale in Istanbul grüßte Erdogan im Stile eines osmanischen Welteneroberers alle jene, "die ihre Augen auf die Türkei richten - in Bagdad, Damaskus, Beirut, Kairo, Tunis, Sarajevo, Skopje, Baku, Nikosia und anderen Bruderstaaten". Es habe heute die "Hoffung der Unterdrückten gewonnen", meinte der Premier. "So wie Istanbul gewonnen hat, hat Sarajevo gewonnen. Beirut wie Izmir. Damaskus wie Ankara. Jerusalem und Gaza wie Diyarbakir. Heute haben der Kaukasus, Europa und Asien gewonnen."

Nicht nur die wirtschaftlich boomende Türkei strotzt vor Selbstbewusstsein, sondern auch ihr Regierungschef. In Europa sieht man den Kurs des zunehmend unbequem agierenden Erdogan mit Sorge. So hat er den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad als Freund eingestuft, auch häufen sich die Fälle, in denen sich die Türkei außenpolitisch überschätzt - wie bei der versuchten, aber vergeblichen Einwirkung auf arabische Despoten wie den Syrer Baschar al-Assad oder den Libyer Muammar al-Gaddafi. Oder bei der verunglückten Vermittlung im Nahost-Konflikt. Dass Erdogan nun auf andere Parteien zugehen muss, wird in der EU mit Erleichterung betrachtet - seine Machtfülle wurde nicht nur der türkischen Opposition, sondern auch Brüssel allmählich unheimlich.

Noch immer steht Recep Tayyip Erdogan bei vielen Kritikern hartnäckig im Verdacht, die laizistische Ordnung abschaffen und durch eine religiöse ersetzen zu wollen. So hat er sich dafür eingesetzt, dass türkische Frauen das Kopftuch auch an Hochschulen tragen dürfen. Erdogans Ehefrau Emine und seine beiden Töchter Esra und Sümeyye tragen stets Kopftuch. Als Bürgermeister von Istanbul hatte sich Erdogan 1994 in einem Interview als Anhänger der islamischen Rechtsordnung Scharia bezeichnet und eine Mitgliedschaft im "Christenklub" EU abgelehnt.

Vier Jahre später wurde er vom Staatsicherheitsgericht Diyarbakir zu zehn Monaten Haft und einem später wieder aufgehobenen lebenslangen Berufsverbot verurteilt. Er hatte in einer Rede in der Stadt Siirt aus einem islamistischen Gedicht zitiert: "Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten." Erst in der Haft habe er erkannt, dass der radikale Islam keine Zukunft habe, behauptete Erdogan später.

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