Die islamisch-konservative Partei AKP erreicht bei den Wahlen erneut die absolute Mehrheit. Erdogan will für neue Verfassung Zusammenarbeit.

Istanbul. Dritte Amtszeit für den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan: Seine islamisch-konservative Partei AKP ist mit großem Abstand Sieger der Parlamentswahl und kann auch künftig mit absoluter Mehrheit regieren. Nachdem die Partei aber eine Zweidrittelmehrheit verpasst hat, kündigte Erdogan an, er werde für die geplante neue Verfassung nun die Unterstützung aller politischen Kräfte suchen.

Nach Auszählung fast aller Stimmen kommt die AKP auf 50,1 Prozent der abgegebenen Stimmen (2007: knapp 47 Prozent). Auch die laizistische CHP legte auf 25,9 Prozent zu. Die rechtsnationalistische MHP lag bei 13 Prozent, die Kurdenpartei BDP stand bei 6,5 Prozent. Ihre Politiker waren als unabhängige Kandidaten gestartet, um die in der Türkei geltende Zehnprozenthürde für das 550 Sitze zählende Parlament zu umgehen.

Erdogan versprach den Wählern Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit. „Heute Abend hat uns die Nation nicht nur den Auftrag zur Regierung gegeben. Sie hat uns auch beauftragt, die neue Verfassung auszuarbeiten. Die Botschaft ist, dass wir dies zusammen mit den anderen Kräften machen sollen“, sagte er. „Wir werden auch die Parteien anhören, die nicht im Parlament vertreten sind. Wir werden die umfangreichsten Verhandlungen führen“, sagte er. „Jeder wird Bürger erster Klasse sein.“

Erdogans politischen Gegner sehen einen möglichen weiteren Machtzuwachs der AKP mit Sorge. Sie erwarten, dass die AKP die Arbeit an einer neuen Verfassung auch zur Zementierung ihrer Macht nutzen wird.

Mehr als 52 Millionen registrierte Wähler waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Um die Gunst der Wähler bewarben sich 15 Parteien und 203 unabhängige Kandidaten, von denen viele der Kurdenpartei BDP zuzurechnen sind. Unter den Wahlberechtigten sind etwa 2,5 Millionen Menschen, die zur Stimmabgabe bereits seit einigen Wochen in die Türkei reisen konnten. Für sie wurden an Flughäfen Wahlurnen aufgestellt.

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Die Arbeit an einer neuen Verfassung sei nach der Wahl die wichtigste Aufgabe, hatte Erdogan erklärt. Dies gilt auch als weitere Wegmarke in den Bemühungen der Türkei um einen Beitritt zur EU. In den vergangenen Jahren ist die Türkei in den Verhandlungen kaum noch vorangekommen. Innenpolitisch kann Erdogan aber vor allem den Aufschwung der Wirtschaft für sich verbuchen.

Für die kommenden Jahre hat Erdogan große Projekte angekündigt. In Istanbul will er zwei neue, erdbebensichere Vorstädte bauen und einen Kanal zwischen dem Schwarzen Meer und dem Marmarameer. Dieser soll den Bosporus entlasten. Zudem sollen praktisch zinsfreie Kredite Geschäftsleuten Investitionen und Familien den Kauf von Häusern möglich machen. Bis 2023 soll sich die Wirtschaftskraft der Türkei verdreifachen, so das erklärte Ziel der AKP. (dpa)

Hintergrund: Das EU-Beitrittsgesuch der Türkei

Die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei wurden am 3. Oktober 2005 eingeläutet. An diesem Tag einigten sich die Außenminister der 25 EU-Staaten mit dem damaligen türkischen Außenminister Abdullah Gül auf das lange umstrittene Verhandlungsmandat: Ziel der Gespräche ist demnach eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU.

Tatsächlich eröffnet wurden die Beitrittsgespräche erst am 12. Juni 2006. Bei einem Treffen in Luxemburg schlugen die Außenminister der EU und der Türkei das Kapitel „Wissenschaft und Forschung“ auf, die Verhandlungen darüber wurden noch am selben Abend für vorläufig abgeschlossen erklärt.

Generell kommen die Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei nur schleppend voran. Ein Stolperstein auf dem Weg zu einem türkischen EU-Beitritt ist die Politik Ankaras gegenüber dem EU-Mitglied Zypern. Schon vor Aufnahme der Beitrittsverhandlungen hatten die damals 25 Mitgliedstaaten die Türkei aufgefordert, die Zollunion mit der EU auf Zypern auszuweiten. Die Türkei weigerte sich, ihre See- und Flughäfen für griechisch-zyprische Schiffe und Flugzeuge zu öffnen. Ankara verlangt von der EU, die Handelsbeschränkungen für den international nicht anerkannten Nordteil Zyperns aufzuheben, dessen Bevölkerung türkischsprachig ist. Zypern ist seit 1974 geteilt in die griechischsprachige Republik Zypern im Süden und den vom türkischen Militär kontrollierten Norden.

Auch die Annäherungen Ankaras an Teheran, insbesondere im Atomkonflikt, sowie anhaltend scharfe Kritik der Türkei an Israel haben einige Diplomaten in der EU aufgeschreckt.

Nach einer im März verabschiedeten Resolution des EU-Parlaments ist die Türkei noch nicht für einen EU-Beitritt bereit. Vor allem bei Grundrechten wie der Pressefreiheit sahen die europäischen Volksvertreter noch dringenden Handlungsbedarf. Zwar attestierten sie dem Land in einigen Kernbereichen durchaus Fortschritte, mahnten aber erneut eine umfassende Verfassungsreform an.