Internationaler Strafgerichtshof will Libyens Diktator wegen seiner Verbrechen anklagen

Hamburg. Der Vorwurf ist ungeheuerlich: Der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi soll seinen Soldaten befohlen haben, die Frauen in den gegen ihn rebellierenden Städten systematisch zu vergewaltigen. Es gebe starke Hinweise darauf, dass bereits Hunderte Frauen in mehreren Regionen Libyens auf Gaddafis Befehl geschändet worden seien - als Strafe für die Revolte gegen das Regime in Tripolis, sagte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (ICC), Luis Moreno-Ocampo. Das Gaddafi-Regime kaufe, wie Zeugen ausgesagt hätten, zu diesem Zweck containerweise Potenzmittel des Viagra-Typs und verteile es an die Truppen. "Anfangs hatten wir noch Zweifel, aber jetzt sind wir schon mehr überzeugt, dass Gaddafi Vergewaltigungen als Strafe einsetzt", sagte Moreno-Ocampo. Der Machthaber soll diese Taktik persönlich angeordnet haben.

Der ICC-Chefankläger sagte weiter, er erwäge in diesem Zusammenhang eine weitere Anklage gegen Gaddafi. Er hatte am 16. Mai bereits Haftbefehl gegen den libyschen Machthaber und seinen Sohn Seif al-Islam wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt; eine Entscheidung der Richter wird für die nächsten Tage erwartet. Systematische Massenvergewaltigungen durch Soldaten und Milizen zur Terrorisierung der Bevölkerung sind unter anderem bereits aus den Konflikten in der Demokratischen Republik Kongo, der Zentralafrikanischen Republik, Uganda sowie dem Bosnien-Krieg der 90er-Jahre bekannt.

Indessen hat Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizère (CDU) angedeutet, dass Deutschland nach dem möglichen Sturz von Gaddafi Soldaten der Bundeswehr nach Libyen entsenden könnte, falls die Uno ein entsprechendes Mandat für eine Schutztruppe erteilen würde. Die Bundesregierung hoffe, dass es zu einer Lösung komme, die keine militärische Präsenz erfordere, sagte de Maizière am Rande des Treffens der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel. "Wenn es anders kommen sollte, dann werden wir das prüfen - und konstruktiv prüfen", fügte der Verteidigungsminister hinzu und betonte: "So weit sind wir noch nicht."

Am derzeitigen Militäreinsatz in Libyen beteiligt sich Deutschland nicht und gerät damit zunehmend in der Nato unter Druck. Am Mittwoch hatte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen die noch nicht am Militäreinsatz beteiligten Partnerstaaten der Allianz zu Beiträgen aufgefordert, vor allen Dingen bei Kampfflugzeugen. Sein Appell ist bislang allerdings ohne große Resonanz verhallt. Deutschland will auch weiterhin keinen Beitrag zum Militäreinsatz in Libyen leisten. "Dabei bleibt es", hatte de Maizière klargestellt.

Für einen Einsatz nach einem Sturz des Regimes in Tripolis kämen die Battle Groups (BG) infrage, multinationale Verbände der Europäischen Union. Zwei davon stehen permanent bereit; in der BG II dienen derzeit 990 deutsche Soldaten, vor allem Pioniere und Sanitäter.

Die Nato hat derweil ihre Angriffe auf die Truppen Gaddafis wieder verstärkt und flog das heftigste Dauerbombardement auf Einrichtungen in der Hauptstadt Tripolis. Die libysche Armee wiederum startete mit Tausenden Soldaten eine neue Großoffensive auf die strategisch bedeutsame Küstenstadt Misrata. Der US-Sender CNN zitierte Dr. Khaled Abu Falgha, einen Arzt des Hekma-Krankenhauses in Misrata, mit der Einschätzung, es sei der blutigste Tag seit einer Woche gewesen. Mindestens dreizehn Rebellen wurden getötet. Ein Rebell namens Mohammed Mochtar beschuldigte die Regierungstruppen gegenüber CNN, sie verwendeten Fahrzeuge mit Flaggen der Rebellen, um ungehindert in die Stadt einzudringen. Insgesamt sollen seit Ausbruch der Revolte in Libyen mehr als 1300 Menschen getötet worden sein, davon allein fast 700 im belagerten Misrata.

Machthaber Muammar al-Gaddafi hat in einer Videobotschaft geschworen, er werde nicht aufgeben und sich nicht ins Exil begeben. "Wir werden in unserem Land bleiben - tot oder lebendig", sagt der "Revolutionsführer". Er wies die Vorwürfe der Menschenrechtsverletzungen und Massenvergewaltigung seitens seiner Truppen zurück und ließ erklären, seine Regierung sei "das Opfer weitverbreiteter Aggression". Dagegen bestätigte die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, die Vergewaltigungsvorwürfe und fügte hinzu, Gaddafi habe bereits vor Beginn des Aufstandes Regimegegner foltern und ermorden lassen. Allerdings begingen auch die Rebellen Menschenrechtsverletzungen.