Mailänder Richterin entscheidet über Eilantrag der Staatsanwaltschaft in der “Bunga-Bunga“-Affäre. Bei Verurteilung drohen 15 Jahre Haft.

Hamburg/Mailand. Fünf Tage lang hat die Mailänder Untersuchungsrichterin Cristina di Censo nun Zeit, die wohl folgenreichste Entscheidung ihrer bisherigen Karriere zu fällen. Von ihrem Urteil dürfte es abhängen, ob sich der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi wegen schwerwiegender Anschuldigungen vor Gericht zu verantworten hat - nämlich wegen Amtsmissbrauchs und sexueller Beziehungen zu einer Minderjährigen.

Dies, und zwar auf dem druckvollen Wege eines Schnellverfahrens, hat die Mailänder Staatsanwaltschaft unter Leitung von Edmondo Bruti Liberati beantragt. Das italienische Recht erlaubt derartige Eilverfahren, wenn die Beweislage ausreichend ist.

Und wie es aussieht, ist die Beweislage wohl üppig. Im Falle einer Verurteilung könnten dem schillernden "Cavaliere" dann bis zu 15 Jahre Haft drohen. Bislang hat sich der 74-jährige Medienunternehmer, der als zehnfacher Milliardär und reichster Mann Italiens gilt, stets noch allen Versuchen der Justiz, ihn hinter Gitter zu bringen, entwinden können. Sogar ein speziell auf ihn zugeschnittenes Immunitätsgesetz hatte der Ministerpräsident auf den Weg gebracht und vom Parlament in Rom verabschieden lassen - doch das Verfassungsgericht hob das Gesetz im Januar teilweise wieder auf.

Vom Auerhahn heißt es, er benehme sich in der Balz derart ungeniert und töricht, dass er bequem abgeschossen werden könne. Der längst auch auf das politische Parkett übertragene "Auerhahn-Effekt" zeigt sich des Öfteren auch bei Berlusconi. Offenbar im Bewusstsein, er sei unverwundbar, feierte der "Cavaliere" in seiner Villa Arcore bei Mailand ausschweifende Partys mit illustren Gästen und lud dazu jede Menge willige junge Damen ein, die den Herren in der einen oder anderen Weise zu Diensten sein sollten - gegen fürstliches Honorar, versteht sich.

Die erotischen Festlichkeiten wurden weltweit unter dem Etikett "Bunga-Bunga" bekannt. Das afrikanische Wort soll eine rückwärtige Sexualtechnik bezeichnen, die auch in Arcore Anwendung gefunden haben soll. Wie es in italienischen Medienberichten heißt, wurden die Gäste bei ihrem Treiben jedoch abgehört; und diese Audiobänder zählten zu den harten Beweisen der Staatsanwaltschaft in Mailand.

Im Zentrum der Ermittlungen steht die inzwischen 18-jährige Marokkanerin Karma al-Maroug, die in der Szene unter dem griffigeren Namen Ruby Rubacuori bekannt ist. "Ruby, die Herzensdiebin" war als Zimmermädchen, Kosmetikerin und Bauchtänzerin tätig, bevor sie sich als "Hostess" buchen ließ. Dreimal wurde sie nebenbei als Diebin polizeilich aktenkundig.

Nach eigener Aussage vor der Staatsanwaltschaft wurde sie, damals noch zarte 17 und minderjährig, zum ersten Mal am 14. Februar vergangenen Jahres in der Villa Arcore tätig, zusammen mit allerlei anderen aufgeschlossenen jungen Damen. Berlusconi soll Rubys diverse Bemühungen mit 30 000 Euro, Schmuck, einem Auto und Designermode belohnt haben. Zum Beischlaf mit dem "Cavaliere" sei es allerdings nicht gekommen, betonen beide. Ein Zeugin namens "Maria" sagte allerdings aus, Berlusconi habe die Mädels intimen Berührungen unterzogen.

Am 27. Mai 2010 wurde Ruby festgenommen, da eine Frau sie beschuldigte, ihr eine Uhr und 3000 Euro entwendet zu haben. Die Beamten der Polizeistation staunten nicht schlecht, als Berlusconi bei ihrem Chef anrief und offenbar behauptete, bei der Festgenommenen handle es sich um die Nichte des ägyptischen Staatschefs Husni Mubarak. Eine Behauptung, die im Lichte der jüngsten ägyptischen Entwicklungen heute eher zum Nachteil gereichen könnte. Doch Ruby kam damals flugs frei und wurde von der lombardischen Regionalabgeordneten Nicole Minetti abgeholt. Die frühere Zahnarzthelferin hatte Berlusconi nach einem Attentat auf ihn im Dezember 2009 behandelt und machte dann Karriere. Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass Minetti "eine beträchtliche Anzahl" junger Damen für die "Bunga-Bunga"-Spiele in Arcore rekrutiert hat.

Die Staatsanwaltschaft sieht in dem Anruf bei der Polizei puren Amtsmissbrauch, während der Regierungschef treuherzig versicherte, er sei nun mal einer mit einem großen Herzen, der Menschen in Notlagen gern helfe.

Berlusconi wirft der Justiz in Mailand nun "subversive Absichten" vor. Die Ermittlungen gegen ihn dienten lediglich dazu, ihn aus dem Amt zu drängen. "Ich bringe so viele Opfer im Dienste des Landes", sagte er. Einer seiner vielen Anwälte, Niccolo Ghedini, kündigte vorauseilend Berufung an - für den Fall, dass Richterin Di Censo grünes Licht für einen Prozess geben sollte.

Ein derartiges Schnellverfahren könnte allerdings der Auftakt zu einem ganzen Prozessreigen sein.

Denn am 11. März soll auch ein Korruptionsverfahren wieder aufgenommen werden, das nach der Verabschiedung des nun teilweise wieder gekippten Immunitätsgesetzes auf Eis gelegt worden war. Darin wird Berlusconi vorgeworfen, er habe seinen Anwalt David Mills mit 600 000 Dollar Bestechungsgeld zu entlastenden Falschaussagen in anderen Prozessen veranlasst. Und in einem weiteren Verfahren wirft man ihm Steuerhinterziehung und Bilanzfälschung in Millionenhöhe vor. Nach überteuertem Handel mit Filmrechten habe sein TV-Konzern Mediaset schwarze Konten im Ausland angelegt.