Deutschlands Fußball-Macher setzen erfolgreich auf den Jugendstil. Das will jetzt auch Italien. Heute steigt das Länderspiel in Dortmund.

Dortmund. Cesare Prandelli konnte es gestern Abend gar nicht schnell genug gehen, seine Erinnerung an die gute alte Zeit etwas aufzufrischen. So ließ sich der italienische Nationaltrainer nur wenige Minuten nach der Landung der Chartermaschine AZ8080 auf dem Dortmunder Flughafen zu dem Stadion kutschieren, in dem Italien nach dramatischen 120 Minuten Deutschland im WM-Halbfinale 2006 mit 2:0 besiegt und so den Grundstein für den späteren WM-Titel gelegt hatte. "Das ist eine schöne Erinnerung", sagte der "Commissario tecnico" mit einem leisen Seufzer in seiner Stimme, der in etwa andeutete, wie lang diese Erinnerung vor der heutigen Neuauflage (20.45 Uhr/ARD) des Fußballklassikers zurückliegen muss.

Dabei ist der "trionfo" der Squadra Azzurra gerade einmal viereinhalb Jahre her, die Machtverhältnisse zwischen den beiden großen Fußballnationen haben sich dennoch grundlegend verschoben. Während das DFB-Team konsequent verjüngt wurde und von Erfolg zu Erfolg eilte, stürzte Italiens Nationalmannschaft nach dem Titelgewinn in eine tiefe Krise, die mit dem Vorrunden-Aus bei der WM 2010 in Südafrika ihren Höhepunkt erreichte. Mittlerweile rangiert der Weltmeister von einst nur noch auf dem 13. Platz der Fifa-Weltrangliste - noch hinter Mannschaften wie Norwegen oder Griechenland. "Wir stehen ganz am Anfang eines Umbruchs und wissen, dass ein langer Weg vor uns liegt", sagte Prandelli, nachdem er den 2006 gefeierten und 2010 geschmähten Marcello Lippi im vergangenen Sommer ablöste.

In Italien ist es ein offenes Geheimnis, dass der Umbruch der Nationalmannschaft in etwa so schwierig ist, wie dem umtriebigen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi ein schlechtes Gewissen einzureden. Als Hauptproblem gilt dabei der fehlende Nachwuchs. "Italien ist eine große Fußballnation, die schon gewisse Probleme hat. Es wurde versäumt, rechtzeitig den Nachwuchs einzubauen", sagt DFB-Manager Oliver Bierhoff. So stand bei Inter Mailands Champions-League-Triumph im vergangenen Jahr kein einziger Italiener auf dem Platz. Und selbst in Inters A-Jugend, die sich den nationalen Titel sichern konnte, wird größtenteils auf talentierte Spieler aus Ungarn, Rumänien und Kroatien gesetzt. "Ich suche ständig nach verheißungsvollen italienischen Talenten - ich habe allerdings kaum welche gefunden", sagt Prandelli, der bei seiner Suche nach den Nadeln im Heuhaufen zumindest Hilfe erhält. Arrigo Sacchi, Italiens anerkannter Taktikfachmann, soll die in der Vergangenheit vernachlässigten Nachwuchsteams koordinieren, der einstige Mittelfeldstar Roberto Baggio wurde Prandelli als Technischer Direktor zur Seite gestellt, während Spielmacher-Legende Gianni Rivera die Verbindung zu den Schulen herstellen soll.

Als Vorbild beim Neuanfang gilt der italienischen Task-Force ausgerechnet der besiegte Halbfinalgegner von 2006. Der Hinweis auf das Vorbild Germania fehlt jedenfalls in kaum einem Leitartikel der italienischen Sportpresse. "Alles, was Deutschland seit diesem Spiel richtig gemacht hat, hat Italien falsch gemacht", behauptet beispielsweise der Journalist Federico Lo Giodice von Sky Italia. Deswegen soll nun nicht nur der lange vernachlässigte Nachwuchs gefördert werden, sondern auch die Integration von Einwandererkindern, sogenannter "oriundo", ähnlich erfolgreich wie in Deutschland vorangetrieben werden. Trotz Protesten einiger Ewiggestrigen setzt Prandelli bereits gegen Deutschland auf den gebürtigen Brasilianer Thiago Motta, 28, dessen Familie aus dem Po-Delta stammt. Und für die nötige Kreativität in der Offensive soll zukünftig der derzeit am Knie verletzte Mario Balotelli, 20, ein Sohn ghanaischer Einwanderer sorgen. "Es ist fantastisch, dass Spieler, die nicht in Italien geboren sind, für dieses Land spielen wollen", sagt Offensivverfechter Prandelli, der seit seinem Amtsantritt bereits 48 Spieler, darunter 22 Debütanten, berufen hat. Ein Mesut Özil war allerdings nicht dabei.

"Italien ist in einer Umbruchphase. Bei der Nationalmannschaft haben die Verantwortlichen aber schon gemerkt, dass man die jüngeren Spieler nach und nach einbinden muss", sagt Prandellis Trainerkollege Joachim Löw, der daran erinnert, dass das Durchschnittsalter der Squadra Azzurra bereits um drei Jahre gesenkt werden konnte. Tatsächlich wies die Mannschaft, die Deutschland am 4. Juli 2006 bezwang, einen Altersschnitt von 29,8 Jahren auf. Aus dem damaligen Kader werden heute lediglich Torhüter Gianluigi Buffon, 33, und Daniele de Rossi, 27, dabei sein. Ansonsten ist vom damaligen Titel nur noch eins übrig geblieben: schöne Erinnerungen.