Der Bundespräsident sprach auch die Probleme an: Leistungsverweigerung, Machogehabe, Kriminalität. Die Türken wunderten sich über Bettina Wulff.

Ankara. Bundespräsident Christian Wulff lässt bei seiner Rede vor dem Parlament in Ankara keinen Zweifel: Türkische Zuwanderer seien ein Teil Deutschlands. Aber er forderte auch die türkischstämmigen Migranten in Deutschland auf, sich verantwortungsvoll in die deutsche Gesellschaft einzubringen. Er sagte an die Adresse der nach Deutschland ausgewanderten Türken: „Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger türkischer Herkunft (...) sind in unserem Land herzlich willkommen und sie gehören zu unserem Land.“ Wulff fügte hinzu: „Als ihr aller Präsident fordere ich, dass jeder Zugewanderte sich mit gutem Willen aktiv in unsere deutsche Gesellschaft einfügt.“

In einem Interview mit der Zeitung „Hürriyet“ wandte sich Wulff gegen einen Zuzugstopp aus der Türkei, wie ihn etwa CSU-Chef Horst Seehofer verlangt hatte . „Zu behaupten, eine ganze Gruppe könne und wolle sich nicht integrieren, halte ich für falsch. Ich wende mich gegen jedes Pauschalurteil.“ Dies wiederholte er vor dem Parlament nicht.

Es war das erste Mal, dass ein deutsches Staatsoberhaupt vor den türkischen Abgeordneten sprach. Die Rede war auch in Deutschland mit Spannung erwartet worden, nachdem Wulff am Tag der Deutschen Einheit mit seinem Bekenntnis zum Islam als Teil der deutschen Realität eine heftige Kontroverse ausgelöst hatte .

Die Probleme von Zuwanderern mit islamischem Hintergrund sprach Wulff in Ankara direkt an. „Dazu gehören das Verharren in Staatshilfe, Kriminalitätsraten, Machogehabe, Bildungs- und Leistungsverweigerung“, sagte er vor den türkischen Abgeordneten. Dies seien aber nicht nur Probleme von und mit Einwanderern. „Durch multikulturelle Illusionen wurden diese Probleme regelmäßig unterschätzt“, betonte der Bundespräsident.

Niemand solle seine kulturelle Identität aufgeben oder seine Herkunft verleugnen, sagte Wulff. Es gehe aber darum, die Werte der deutschen Verfassung zu achten und zu schützen. Wulff nannte die Menschenwürde, die freie Meinungsäußerung, die Gleichberechtigung von Mann und Frau und den religiös und weltanschaulich neutralen Staat. „Wer in Deutschland leben will, muss sich an diese geltenden Regeln halten und unsere Art zu leben akzeptieren“, betonte er.

Muslime könnten in Deutschland ihren Glauben in würdigem Rahmen praktizieren. Die zunehmende Zahl der Moscheen zeuge hiervon. „Gleichzeitig erwarten wir, dass Christen in islamischen Ländern das gleiche Recht haben, ihren Glauben öffentlich zu leben, theologischen Nachwuchs auszubilden und Kirchen zu bauen“, betonte Wulff.

Mit besonderem Nachdruck forderte er die türkischen Abgeordneten zum Schutz von Minderheiten und zum religiösen und kulturellen Pluralismus auf. Er erinnerte an die Prinzipien des Europarats mit Menschenrechten, Demokratie und Rechtstaatlichkeit. Zu den Verhandlungen über einen türkischen EU-Beitritt sagte der Präsident: „Wir halten an der Entscheidung fest, die Beitrittsverhandlungen in einer fairen und ergebnisoffenen Weise zu führen.“ Er übernahm damit die offizielle Position der Bundesregierung. Die Union will der Türkei nur eine privilegierte Partnerschaft anbieten, die Ankara strikt ablehnt.

Die Türkei-Reise ist für Wulff ein heikler Trip. Kaum im Amt, hatte er am Tag der deutschen Einheit gesagt, der Islam gehöre zum Land . Das zielte ins Herz der Debatte um Zuwanderer, Integration und das provokative Buch von Thilo Sarrazin. Und seine junge Frau Bettina gibt sich mit einem Tattoo moderner, als vielen lieb ist. Türkische Medien haben die deutsche First Lady groß thematisiert. Beim Empfang der Wulffs schritt erstmals auch die das Kopftuch tragende türkische Präsidentengattin Hayrünnisa Gül die militärische Ehrenformation vor dem Präsidentenpalast ab. Seit dem Amtsantritt von Präsident Abdullah Gül vor etwa drei Jahren hatte sie mit Rücksicht auf das laizistische türkische Militär auf eine Teilnahme an der Zeremonie verzichtet.