Auch in Hamburg kam es zu Flugausfällen. Die Demonstrationen haben auch mit Sarkozys Affäre um die Milliardärin Bettencourt zu tun.

Paris/Hamburg. Die Franzosen streiten über eine neue Altersgrenze für die Rente, über die andere Europäer nur lächeln können. Während in Deutschland die Rente mit 67 längst beschlossen ist, gehen in Frankreich Hunderttausende auf die Straße , um gegen eine geplante Anhebung des Mindestalters von 60 auf 62 Jahre zu protestieren.

Dabei ist auch den Franzosen klar, dass sie künftig länger arbeiten müssen, um die Renten noch finanzieren zu können. Aber die massiven Streiks und knapp 200 Demonstrationen im ganzen Land sind auch ein Ventil für die angestaute Kritik an Präsident Nicolas Sarkozys Politik .

Es ist bereits der dritte Protesttag gegen die Rentenreform in diesem Jahr, aber er hat Aussicht, der bislang wichtigste zu werden. Gewerkschaften hoffen auf bis zu zwei Millionen Teilnehmer. Traditionell klaffen die Angaben der Organisatoren und der Polizei am Ende ohnehin weit auseinander. Schon am Vormittag war der Verkehr massiv behindert. Metros, Züge und Flüge fielen aus. An vielen Schulen gab es nur Betreuung statt Unterricht.

In Hamburg sollten am Dienstag vier Verbindungen von und nach Paris ausfallen. Wie der Flughafen Fuhlsbüttel mitteilte, waren je zwei Maschinen von Air France und Lufthansa zum Pariser Flughafen Charles de Gaulle betroffen. Wie sich die Lage in den nächsten Tagen entwickeln würde, war unklar. Auch im Zugverkehr gab es Verspätungen und Zugausfälle.

Was die französische Regierung will, klingt nicht besonders dramatisch: Bis 2018 soll das Mindestalter für die Rente auf 62 Jahre steigen. Im EU-Vergleich bildet Frankreich ohnehin das Schlusslicht, sowohl beim gesetzlichen als auch beim tatsächlichen Rentenalter, das im Schnitt bei 59,3 Jahren liegt. Zudem sollen Franzosen künftig 41,5 und damit ein Jahr länger als bisher Beiträge zahlen, um die volle Rente zu bekommen. Ausnahmen sind vorgesehen für Beschäftigte, die schon als Jugendliche angefangen haben zu arbeiten, sowie für besonders gesundheitsbelastende Berufe.

Die Notwendigkeit der Reform leuchtet den meisten ein: Wenn sich nichts ändert, fehlen bereits 2020 etwa 45 Milliarden Euro in der Kasse. Allein die Erhöhung des Rentenalters soll 20 Milliarden einbringen. Die sozialistische Opposition wehrt sich vor allem gegen die Abschaffung des Symbols „Rente mit 60“, hält aber ebenfalls eine Verlängerung der Beitragszahlungen für nötig.

Viele Franzosen ärgern sich, dass Sarkozy die Reform im Schnellverfahren durchdrücken will. Die Kommissionen haben den Text während der Sommerferien beraten. Es ist nur jeweils eine Lesung in jeder Parlamentskammer vorgesehen, die Abstimmung ist für Ende Oktober geplant.

Wenn alles gut geht, kann Sarkozy sich anschließend rühmen, eine überfällige Reform durchgesetzt zu haben und auf dieser Basis seinen Wahlkampf für die nächste Präsidentschaftswahl 2012 aufbauen. Aber das scheint alles andere als sicher. Und daran ist unter anderem eine alte, steinreiche Dame Schuld , die sich zum Unwillen ihrer Tochter von einem Promi-Fotografen etwa eine Milliarde Euro hat aus der Tasche ziehen lassen.

Der Familienstreit um die Reichtümer von L’Oréal-Erbin Liliane Bettencourt hat sich zu einem Politskandal ausgeweitet , der unter anderem Arbeitsminister Eric Woerth in den Verdacht der Kungelei gebracht hat. Und ausgerechnet Woerth, dessen Frau zeitweise in Bettencourts Vermögensverwaltung für ein Jahresgehalt von 200.000 Euro angestellt war, soll nun den Franzosen erklären, dass sie für ihre Rente künftig länger arbeiten sollen.

Dass Woerth ein Glaubwürdigkeitsproblem hat, wird auch im Regierungslager so gesehen. Andererseits sähe es nach Einknicken, wenn nicht gar nach einem Schuldeingeständnis aus, müsste er jetzt die Regierung verlassen. Vermutlich hofft Sarkozy, dass die Rentenreform fix über die Bühne geht, bevor die Proteste sich ausweiten. Und von Woerth dürfte er sich dann bei der bereits angekündigten Kabinettsumbildung im Herbst verabschieden.