Er spricht von “verbrecherischer Politik“. Die Regierung habe keine neuen Flugzeuge gekauft. Im Herbst will er ein Buch zur Tragödie vorlegen.

Warschau. Zwei Wochen sind seit der Präsidentenwahl in Polen vergangen, da spricht der "neue Kaczynski", eben noch ein moderater, versöhnlicher Stimmenfänger, wieder die Sprache des polarisierenden "alten Kaczynski". Noch ist es zu früh zu sagen, ob der in der Wahl unterlegene Oppositionsführer und seine Partei auf allen Politikfeldern zurückwollen zu ihren alten nationalkonservativen Positionen. Zumindest aber was den Flugzeugabsturz vom April betrifft, bei dem Jaroslaw Kaczynskis Zwillingsbruder, der damalige Präsident Lech Kaczynski , im russischen Smolensk ums Leben gekommen war, hat Jaroslaw einen radikalen Kurswechsel vollzogen.

"Das ist keine neue Strategie, das ist ein moralischer Imperativ", verkündete er und kündigte an, für die Aufklärung der Hintergründe des Unglücks kämpfen zu wollen. In "jedem demokratischen Land", so Kaczynski, müsse jemand, der auch nur einen Teil der Schuld an einer "beispiellosen Tragödie" wie dieser trage, von der politischen Bühne abtreten. Das war an die Regierung gerichtet, die eine getrennte Anreise des Premiers und des Präsidenten nach Russland gewünscht hatte und deshalb für ein Glied in der Kette der Ereignisse, die zum Absturz führten, Verantwortung trage. Kritiker werfen dem Politiker aufgrund solcher Angriffe jetzt allerdings "moralische Erpressung" vor.

Nachdem Kaczynski das Flugzeugunglück im Wahlkampf ausgeklammert hatte, nimmt er nun kein Blatt mehr vor den Mund. Als Polens Außenminister Radoslaw Sikorski ihn angerufen habe, um ihn über den Absturz zu informieren, antwortete er demnach mit der (fragwürdigen) Anschuldigung: "Das ist das Ergebnis eurer verbrecherischen Politik. Ihr habt keine neuen Flugzeuge gekauft." Heute glaube er, dass die Rolle der Warschauer Regierung bei der Aufklärung des Unglücks "in höchstem Maße merkwürdig" sei. Seine Partei werde im Herbst ein Weißbuch zu der Tragödie vorlegen. Es ist wohl kein Zufall, dass im Herbst auch Kommunalwahlen stattfinden.

Bemerkenswert ist, dass Kaczynski auf kritische Worte gegen Russland verzichtet und sich auf den innenpolitischen Gegner konzentriert. Allerdings sieht er gewisse polnisch-russische Zusammenhänge: zum einen in der Vorgeschichte, als die Premiers Russlands und Polens, Wladimir Putin und Donald Tusk, im April zu einer eigenen Gedenkfeier für die 1940 von den Sowjets ermordeten Polen aufgebrochen seien, wobei sein Bruder, der Präsident, ausgebootet worden sei (er reiste drei Tage später nach Russland und stürzte ab). Aber auch nach dem Unglück: Polens Regierung habe es versäumt, das Ermittlungsverfahren an sich zu ziehen, sodass Russland nun die Untersuchungen leite. Gestern rief Kaczynskis Partei im Parlament eine Arbeitsgruppe "zur Untersuchung der Katastrophe von Smolensk" ins Leben.

Die Anwälte der Familien der Opfer bereiten sich auf eine Auseinandersetzung vor. Nachdem zunächst die russischen Behörden nach dem Absturz Ermittlungen aufnahmen, ermittelt unabhängig davon nun auch die polnische Seite. Sie hat mehrere Anträge auf Rechtshilfe gestellt und Russland um eine schnelle Bearbeitung gebeten. Beide Seiten weisen aber darauf hin, dass die Untersuchungen noch bis Oktober dauern werden.

Manche Beobachter vermuten bei den russischen Behörden Vertuschungsabsichten, weil womöglich die Fluglotsen auf dem kleinen Flughafen Smolensk Fehler gemacht hätten. Das könnte die bisher vorherrschende Version, ein Pilotenfehler bei dichtem Nebel und der Erwartungsdruck, pünktlich zu landen, seien die Absturzursachen, zumindest erweitern.