Nato-Generalsekretär warnt vor voreiliger Festlegung auf Abzug der Truppen. Karsai fordert mehr Kontrolle über Einsatz von Hilfsgeldern.

Kabul. Die afghanische Regierung will spätestens 2014 die Verantwortung für die Sicherheit in ihrem Land von den ausländischen Truppen übernehmen. „Unsere afghanischen Sicherheitskräfte werden bis 2014 die Verantwortung für alle Militäreinsätze und die Überwachung der Gesetze in unserem gesamten Land wahrnehmen“, erklärte Präsident Hamid Karsai auf der internationalen Afghanistan-Konferenz in Kabul. Bundesaußenminister Guido Westerwelle unterstützt den Zeitplan der afghanischen Regierung.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) nannte die Konferenz in Kabul "eine sehr wichtige Wegmarke". Dem Hamburger Abendblatt sagte Westerwelle: "Wir unterstützen das Ziel von Präsident Karsai, die Sicherheitsverantwortung 2014 vollständig zu übernehmen, und setzen uns dafür ein, dass dieses Ziel bei der Konferenz in Kabul nochmals bekräftigt wird." Westerwelle sprach sich für eine Übergabe der Sicherheitsverantwortung in Afghanistan 2014 ausgesprochen. Eine Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regierung bedeute aber weder einen sofortigen Abzug noch ein Ende des Engagements. "Wir wollen uns noch in dieser Legislaturperiode eine Abzugsperspektive erarbeiten", sagte Westerwelle, "aber es wird auch nach der Übergabe der Verantwortung noch Soldaten, zivile Aufbauhelfer und Polizisten der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan geben."

Auch die Frauenrechtsorganisation "medica mondiale" warnte vor einem überhasteten Abzug. Mit dem Rückzug der internationalen Gemeinschaft könne sich das bedrohliche Klima für Frauen erneut verschärfen. So hätten weibliche Abgeordnete Todesdrohungen erhalten, Frauenrechtlerinnen und Journalistinnen seien ermordet worden. Es wird damit gerechnet, dass bei der Konferenz auch über die Arbeit der Regierung von Präsident Hamid Karsai gesprochen wird. Dazu soll die afghanische Regierung darlegen, welche Fortschritte die Korruptionsbekämpfung macht. Insbesondere bei der Korruptionsbekämpfung habe die afghanische Regierung noch viel Arbeit zu leisten, sagte Westerwelle. "Wir stellen keine Blankoschecks aus." Wichtig sei der zielgenaue Einsatz der Hilfsgelder. Besprochen wird voraussichtlich auch ein Programm, mit dem Taliban wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden sollen. Dafür hat die internationale Gemeinschaft allein im ersten Jahr 100 Millionen Euro zugesagt. Deutschland will über fünf Jahre insgesamt 50 Millionen Euro beisteuern.

US-Außenministerin Hillary Clinton bekräftigte, die ersten US-Soldaten sollten Afghanistan im Juli kommenden Jahres verlassen. „Das Datum Juli 2011 macht sowohl die Dringlichkeit als auch unsere Entschlossenheit deutlich“, sagte Clinton in Kabul. Zugleich betonte die US-Außenministerin allerdings, das Engagement ihrer Regierung in Afghanistan werde im Juli 2011 nicht enden.

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen warnte vor einer voreiligen Festlegung auf einen Abzugstermin. Die Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte hänge von den Bedingungen im Land ab, „nicht vom Kalender“, erklärte Rasmussen. Der ehemalige Afghanistan-Beauftragte der Vereinten Nationen, Tom Koenigs, hält einen Abzug der internationalen Truppen im Jahr 2014 indes für unausweichlich. „Nach dieser Konferenz spätestens werden es alle glauben, leider auch die Taliban“, sagte der Grünen-Politiker im Deutschlandradio Kultur.

Neben der Übergabe der Sicherheitsverantwortung forderte Karsai auch mehr Kontrolle über den Einsatz von Hilfsgeldern in Afghanistan. Spätestens in zwei Jahren sollten 50 Prozent der Entwicklungshilfe-Zahlungen aus dem Ausland an seine Regierung fließen, erklärte der afghanische Präsident. Derzeit wird ein Großteil der Finanzhilfen über Hilfsorganisationen direkt in die Regionen geleitet. Hintergrund ist die Befürchtung, das Geld könnte in korrupten Regierungsbehörden versickern. Karsai kritisierte indes, es fehle an einer Koordinierung der zahlreichen Hilfsprojekte. „Es ist Zeit, unsere Anstrengungen auf eine begrenzte Zahl landesweiter Programme und Projekte zu konzentrieren, um das Leben der Bevölkerung zu verbessern.“

Wie prekär die Sicherheitslage in Afghanistan derzeit noch ist, machte kurz vor Eröffnung der Konferenz ein Raketenangriff auf den Flughafen von Kabul deutlich. Er behinderte die Anreise von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und dem schwedischen Außenminister Carl Bildt, wie Bildt in seinem Blog schrieb. Ihre Maschine musste wegen des Raketenangriffs auf dem US-Stützpunkt Bagram außerhalb von Kabul landen, Bildt und Ban wurden anschließend mit Hubschraubern zum Konferenzzentrum geflogen.

Bei einem Militäreinsatz am Rande von Kabul wurden nach Angaben der Nato am Montagabend mehrere mutmaßliche Aufständische getötet, die der Planung eines Anschlags auf die Konferenz verdächtigt wurden. Der afghanische Geheimdienst nahm nach Polizeiangaben in der Hauptstadt selbst mehrere Verdächtige fest. Unter massiven Sicherheitsvorkehrungen treffen heute in Kabul internationale Diplomaten zur ersten Afghanistan-Konferenz auf afghanischem Boden zusammen. Rund 40 Außenminister und 70 hochrangige Diplomaten diskutieren darüber, wie es weitergehen soll in dem Bürgerkriegsland - und darüber, wie lange es weitergehen soll. Im Zentrum der Debatte steht die Frage, wie rasch die afghanischen Behörden und Sicherheitskräfte die Verantwortung für ihr Land übernehmen können. Je eher und je umfassender das geschieht, desto schneller könnten die internationalen Truppen ihren verlustreichen Einsatz am Hindukusch beenden. Derzeit sind fast 150.000 Soldaten dort stationiert.