Treffen der UN-Vetomächte sowie arabischer Staaten und der Türkei soll am Sonnabend stattfinden. Westerwelle warnt vor überzogenen Erwartungen.

Genf/Beirut. Nach Ansicht unabhängiger Ermittler wird die Lage in Syrien immer prekärer. Das Land gleite unaufhaltsam in einen blutigen Bürgerkrieg ab. Der Chef der vom UN-Menschenrechtsrat berufenen Untersuchungskommission, Paulo Pinheiro, sagte am Mittwoch in Genf, die Gefechte zwischen den Truppen des Assad-Regimes und der Opposition seien „dramatisch eskaliert“. Derzeit scheine keine Seite mehr an eine politische Lösung zu glauben, warnte auch der stellvertretende Syrien-Beauftragte von UN und Arabischer Liga, Jean-Marie Guéhenno. Die Bevölkerung hoffe verzweifelt, „dass die internationale Gemeinschaft zusammenkommt und Einfluss ausübt, ehe es zu spät ist“. Vor diesem Hintergrund will sich am Sonnabend in Genf erstmals eine Syrien-Aktionsgruppe treffen. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) warnte allerdings vor überzogenen Erwartungen an das Treffen. Unterdessen haben Rebellen am Mitwoch einen regierungsnahen Fernsehsender angegriffen und damit ein Symbol der Herrschaft von Präsident Baschar al-Assad ins Visier genommen.

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Zur Syrien-Aktionsgruppe gehören Vertreter der fünf Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat sowie arabischer Staaten und der Türkei. Die Gruppe will sich für eine gewaltfreie Lösung des Konflikts sowie einen demokratischen Wandel in Syrien einsetzen. „Die Aktionsgruppe soll sich auf Leitlinien und Prinzipien für einen von Syrien selbst geführten politischen Übergangsprozess verständigen, der den legitimen Wünschen des syrischen Volkes entspricht“, teilte der Syriengesandte von UN und Arabischer Liga, Kofi Annan, mit.

Aus Sicht von US-Außenministerin Hillary Clinton verstärkt Annan mit seinem Plan den Druck auf das Regime von Präsident Baschar al-Assad. Wenn Länder wie Russland oder China Annans Fahrplan für einen politischen Übergang unterstützten, sende dies eine ganze andere Botschaft, sagte Clinton in Helsinki. Mitglieder des Regimes würden beispielsweise entmutigt und die Opposition ermutigt. Deutschland wird aller Voraussicht nach nicht dabei sein.

Bundesaußenminister Westerwelle hat vor überzogenen Erwartungen an das Treffen der Syrien-Aktionsgruppe gewarnt. „Die Erwartungen sind groß, aber sie dürfen nicht überfrachtet werden“, sagte Westerwelle am Mittwoch auf einer Veranstaltung zum 50-jährigen Bestehen der Konrad-Adenauer-Stiftung. Deutschland unterstütze jedoch „jedes Format, das uns dem Ziel einer politischen Lösung näher bringt“. Westerwelle selbst wird bei dem Treffen nicht dabei sein.

In Syrien greifen die Kämpfe auf immer mehr Landesteile über, heißt es in dem Lagebericht, den Pinheiro dem Menschenrechtsrat vorlegte. Sie hätten den Charakter eines „nicht-internationalen bewaffneten Konfliktes“ – mit dem Begriff wird im humanitären Völkerrecht ein Bürgerkrieg bezeichnet. Oppositionsgruppen – unter ihnen jene, die lose mit der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) verbündet seien – würden immer effektiver vorgehen.

Truppen des Assad-Regimes würden „selbst bei Anwesenheit von Beobachtern ganze Wohngebiete mutmaßlicher Regierungsgegner mit Kampfhubschraubern und Artillerie beschießen“, heißt es in dem Bericht. Auch sexuelle Gewalt sowie Folter – darunter Scheinhinrichtungen und Quälereien mit Stromstößen an Genitalien - gehörten zu den Methoden des Assad-Regimes. Aus Protest gegen den Bericht verließ der syrische UN-Vertreter Faisal al-Hamwi den Saal. „Ich bin schockiert“, erklärte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, in Berlin. „Brutalste Menschenrechtsverletzungen wie Mord, Folter, sexuelle Gewalt und Vertreibungen sind an der Tagesordnung. Zahlreiche Kinder, auch kleine Kinder, sind unter den Opfern.“

In einer Rede am späten Dienstagabend hatte Assad erklärt, sein Land stehe „in einem echten Krieg“. Es würden aber alle Anstrengungen unternommen, „diesen Krieg zu gewinnen“, sagte Assad bei der Vereidigung eines neuen Kabinetts, das weiterhin mit loyalen Parteigängern besetzt ist. „Offenbar haben wir nur mit dem Westen Probleme, die Mehrheit der Welt will Beziehungen mit uns haben“, fügte er hinzu.

Aufständische haben am Mittwoch einen regimenahen privaten Fernsehsender bei Damaskus angegriffen und dabei mindestens sieben TV-Mitarbeiter getötet. Die Angreifer kamen im Morgengrauen und attackierten den Fernsehsender „Ichbarija“ mit Bomben und Schusswaffen. Der Angriff auf den 20 Kilometer vor der Hauptstadt gelegenen Sender und die im Großraum Damaskus tobenden Kämpfe belegen, dass die Auseinandersetzung immer mehr das politische Zentrum Syriens erreichen. „Ichabarija“ hat sich während der 16-monatigen Auseinandersetzungen auf die Seite Assads geschlagen und westliche sowie arabische Medien der Desinformation bezichtigt. Obwohl der Sender privat betrieben wird, gilt er aus Sicht der Opposition als Sprachrohr der Regierung, die die Medien fest im Griff hat.

Weitere Angestellte seien verletzt oder von den Angreifern verschleppt worden, sagte der syrische Informationsminister Omran al-Subi im Staatsfernsehen. Ein Sprecher der syrischen Opposition in Damaskus sagte dem arabische Fernsehsender Al-Dschasira, bei den Angreifern habe es sich um Überläufer aus den Reihen der Republikanischen Garden gehandelt. Von unabhängiger Seite ließ sich die Information zunächst nicht überprüfen.

Mit Material von dpa/rtr