Die Geheimoperation sollte Schmuggler entlarven, doch sie ging gründlich schief. Nun gerät Obamas Justizminister Eric Holder unter Druck.

Hamburg. Am Abend des 14. Dezember 2010 patrouillierte der amerikanische Grenzschutzagent Terry Brian mit einigen Kollegen durch den zerklüfteten Peck Canyon in Arizona, elf Kilometer von der mexikanischen Grenze entfernt. Als die Beamten auf fünf illegale Einwanderer stießen, entbrannte ein heftiges Feuergefecht. Brian, der mit seiner Waffe nur "Bean Bags" - eine nicht tödliche Schrotmunition im Nylonbeutel - verschießen konnte, wurde getroffen und starb im Canyon.

Bei vier Verdächtigen, die man fassen konnte, wurden Sturmgewehre des Typs Kalaschnikow gefunden. Zum Entsetzen der amerikanischen Behörden stellte sich schnell heraus, dass diese Waffen zu einem geheimen Programm gehörten, mit dem die US-Regierung die Hintermänner des gigantischen Waffenschmuggels in die mexikanische Drogenkriegsszene zu fassen hoffte. Die Operation hieß "Fast and Furious" - schnell und wütend.

Und noch ein zweiter Mord an einem US-Agenten wurde offenbar mit einer "Fast and Furious"-Waffe verübt. Am 15. Februar 2011 rammten zwei Geländewagen auf dem Highway 57 zwischen Mexiko-Stadt und Monterrey das Auto von zwei Spezialagenten des US-Heimatschutzministeriums, Jaime Zapata und Victor Avila. 15 Männer sprangen heraus und eröffneten das Feuer. Zapata starb, Avila überlebte verletzt. Als Täter gilt das ultrabrutale mexikanische Drogenkartell Los Zetas. Nachdem immer mehr Informationen über das geheime Programm durchgesickert sind, hat sich die "Fast and Furious"-Pleite zu einem politischen Skandal entwickelt, der mitten im Präsidentschaftswahlkampf die Regierung von Barack Obama zu beschädigen droht.

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Wie sich herausstellte, hatten die Agenten der amerikanischen Anti-Schmuggel-Behörde ATF, die dem Justizminister unterstellt ist, 2020 Waffen, darunter Varianten der Kalaschnikow AK-47, Pistolen und Revolver, aber auch US-Scharfschützengewehre des Typs Barrett mit dem gewaltigen Kaliber .50, an mexikanische Mittelsmänner verkauft. So wollte sie ermitteln, wie Schusswaffen aus den USA illegal in die Hände von Drogenhändlerbanden in Mexiko gelangen.

Doch die Operation ging schief: Die ATF versagte bei der Überwachung der Waffen - nur 665 der mehr als 2000 Pistolen und Gewehre tauchten bislang wieder auf. Der größte Teil landete beim Sinaloa-Kartell, neben den Los Zetas die größte Drogenorganisation Mexikos. Im Juni 2011 sagte der ATF-Agent Carlos Canino aus, Waffen aus dem "Fast and Furious"-Programm seien an 200 Tatorten verwendet worden. Mit Barrett-Gewehren wurden Polizeihubschrauber beschossen.

Der republikanische Senator Chuck Grassley und der Abgeordnete Darrell Issa initiierten eine Untersuchung des Skandals. US-Justizminister Eric Holder, eine der Schlüsselfiguren im Kabinett von Präsident Obama, sagte am 3. Mai 2011 vor dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses aus, er habe keine Ahnung, wer "Fast and Furious" überhaupt abgesegnet habe; er selber habe erst vor wenigen Wochen davon erfahren. Doch inzwischen sind Dokumente aufgetaucht, die belegen, dass Holder bereits im Juli 2010 Berichte über das Programm eingesehen hatte.

Sein Ministerium erklärte hastig, der Minister habe die Frage damals im Ausschuss falsch verstanden, er sei zwar über das Programm im Bilde gewesen, nicht aber über Details. Im Übrigen weigerte Holder sich, Dokumente über "Fast and Furious" vorzulegen.

Für die Republikaner ist das fünf Monate vor der Präsidentschaftswahl ein politisches Geschenk. Sie wollen Holder wegen "Missachtung des Kongresses" und Unterschlagung von Beweismitteln zur Rechenschaft ziehen und bestraft sehen. Für Obama ist dies nicht angenehm. Es droht eine neue Konfrontation zwischen der demokratischen Administration und der Republikanischen Partei - und obendrein eine Verstimmung zwischen den USA und Mexiko. Dessen Parlamentspräsident Jorge Carlos Ramirez Marin sagte, "Fast and Furious", das ohne Wissen Mexikos ausgeführt wurde, sei eine "ernsthafte Verletzung" internationalen Rechts. "Was schicken sie uns als Nächstes her - Auftragskiller oder Atomwaffen?", fragte Marin. Bei seinem Amtsantritt 2006 hatte Mexikos Präsident Felipe Calderon den mächtigen Drogenkartellen, die jährlich bis zu 50 Milliarden Dollar Gewinne machen sollen, den Kampf angesagt. 50 000 Soldaten und 35 000 Polizisten sind im Einsatz - ohne großen Erfolg. Dem Drogenkrieg sind seitdem rund 48 000 Menschen zum Opfer gefallen. Viele Menschen wurden von den Killern der Kartelle bestialisch gefoltert, verstümmelt und enthauptet - als drastische Warnung an Konkurrenten und an aussagewillige Bürger.

Die Kartelle mit ihren rund 300 000 paramilitärisch organisierten Kämpfern setzen modernste Waffen ein; in einigen Grenzregionen zu den USA hat der mexikanische Staat das Gewaltmonopol längst verloren. Von fast 100 000 Waffen, die zwischen 2007 und 2011 sichergestellt werden konnten, stammten fast 70 000 aus den USA.