Norwegen bewahrt Haltung: Gefasste Reaktion trotz aller Ungeheuerlichkeiten im Breivik-Prozess

Oslo. Man könnte es den Norwegern nicht verdenken, wenn sie dem geständigen Attentäter Anders Behring Breivik mit unverhohlener Wut und Empörung begegnen würden. Wenn er mit erhobener Faust in den Gerichtssaal grüßt. Wenn er leichterhand davon berichtet, wie er ihre Kinder, ihre Brüder und Schwestern getötet hat, als ob es Fliegen wären. Wenn er seine jungen Opfer Verräter nennt, die es wegen ihrer politischen Ansichten verdient hätten zu sterben. Die gedämpfte Atmosphäre im Prozess gegen Breivik spiegelt das beinahe selbstquälerische Bemühen Norwegens wider, keine Rachegefühle dem Täter gegenüber zuzulassen.

+++ Kommentar: Nicht zu ertragen +++

+++ Überlebende von Utøya: "So macht uns Breivik keine Angst" +++

„So sind die Norweger“, sagt Trond Henry Blattmann, dessen 17-jähriger Sohn auf Utöya getötet wurde. „Wir müssen das auf würdige Weise machen. Wenn die Leute schreien und brüllen würden, wäre das ein Zirkus und kein Prozess. Wir wollen nicht, dass das ein Zirkus wird.“

Skandinavier neigen ohnehin nicht zu lauten Gefühlsausbrüchen. Doch das ruhige Benehmen der Zuschauer im Gerichtssaal überrascht selbst manchen einheimischen Beobachter. Indem sie dem Prozess mit „Respekt und Anstand“ begegneten, böten die Norweger Breivik die Stirn und verteidigten die tiefsten Werte ihrer nationalen Identität, meint der Sozialanthropologe Thomas Hylland Eriksen von der Universität Oslo. Als er selbst vor dem Prozess Breivik in den Medien als „dicklich“ bezeichnet habe, hätten einige Anstoß genommen. „Ich habe Post von Leuten bekommen, die meinten: 'Sie sollten so etwas über sein Aussehen nicht sagen. Er hat eine Mutter. Wir müssen ihn mit Respekt behandeln.'“

Breivik hat vorigen Sommer im Osloer Regierungsviertel und im Sommerlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation auf der Insel Utöya 77 Menschen getötet. Er wähnt sich auf einem Kreuzzug gegen eine vermeintliche Überfremdung Norwegens, zeigt keinerlei Reue und bezeichnet sich im strafrechtlichen Sinne als nicht schuldig. Über seinen Geisteszustand streiten sich die Gutachter. Von seiner Zurechnungsfähigkeit hängt ab, ob er mit der Höchststrafe von 21 Jahren Haft und eventuell anschließender Sicherungsverwahrung oder mit der Einweisung in eine geschlossene Anstalt rechnen muss.

Seine Aussage, die am Montag abgeschlossen werden sollte, war erschreckend. Stille herrschte im Saal, als er schilderte, wie er die vor Entsetzen starren Jugendlichen auf Utöya aus nächster Nähe erschoss. Hinterbliebene im Publikum hielten einander schluchzend umklammert, aber sie ließen ihn ausreden, ohne laut loszuschreien. „Ich glaube, diesen Drang spürt jeder. Selbst seine Anwälte haben diesen Drang. Aber hilft uns das?“, fragt Blattmann. „Das würde dem Terroristen nur noch mehr Publicity verschaffen.“

Die „Würde“ des Verfahrens wurde in den norwegischen Medien gelobt. Doch in den Verhandlungspausen wird auf den Gerichtsfluren manchmal schon darüber gesprochen, ob Breivik das verdient. „Es wundert mich ein wenig“, sagt der Laienrichter Thomas Indrebö, der Breivik die – in Norwegen nicht mögliche – Todesstrafe gewünscht hatte und deshalb abberufen worden war. „Wenn man sich andere Länder ansieht, da schreien und toben die Leute.“ Indrebö versteht nicht recht, warum Breivik stundenlang eine Erklärung seiner extremistischen Ansichten verlesen durfte. Und er bleibt dabei, dass er den Tod verdient hätte: „Weil das, was er getan hat, so schwerwiegend und schrecklich ist. Eine andere Gerechtigkeit gibt es nicht.“

Die meisten Norweger finden es wichtig, dass Breivik wie jeder Angeklagte die Gelegenheit bekommt, sich in öffentlicher Verhandlung zu erklären, ungeachtet des Ausmaßes der Tat. Für Rechtsexperten ist es von entscheidender Bedeutung, dass das Prozedere absolut korrekt verläuft, damit Breivik hinterher nicht einwenden kann, er habe kein faires Verfahren bekommen. Viele halten es auch für wichtig, dass die grausigen Einzelheiten dokumentiert werden um sicherzustellen, dass Breivik sehr lange, vielleicht lebenslang weggesperrt wird. „Wenn Behring Breivik in Zukunft irgendwann vor Gericht geht und verlangt freigelassen zu werden – ob aus dem Gefängnis oder der Psychiatrie – dann wird das Urteil das wichtigste Dokument dieser Bewertung sein“, gab die erfahrene Gerichtsreporterin Inge D. Hanssen in der Zeitung „Aftenposten“ zu bedenken.