Die Waffenruhe für Syrien ist bislang nicht eingehalten worden. Angeblich unterstützen kurdische PKK-Rebellen das Assad-Regime.

Hamburg. Der Plan des früheren Uno-Generalsekretärs Kofi Annan ist die bislang beste Chance auf einen Waffenstillstand in dem blutigen Konflikt zwischen dem syrischen Regime in Damaskus und der Opposition - doch er droht zu scheitern. Gestern Morgen um fünf Uhr mitteleuropäischer Zeit hatte eine 48-Stunden-Frist für die Umsetzung der Waffenruhe und den Abzug der Truppen aus den umkämpften Städten begonnen. Doch über den Grad der Umsetzung des Annan-Plans gab es völlig unterschiedliche Einschätzungen. So erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow, die syrische Führung habe Beweise für einen Beginn des Truppenrückzugs vorgelegt. Allerdings könnte die Regierung in Damaskus dabei zügiger vorgehen, merkte Lawrow kritisch an. "Wir haben bereits mit dem Abzug einiger Militäreinheiten aus einigen Provinzen begonnen", erklärte der syrische Außenminister Walid al-Muallim in Moskau.

Ganz andere Töne kamen von der syrischen Opposition, deren meist schlecht bewaffnete Kämpfer sich vor allem in den Protesthochburgen Hama und Homs einen verzweifelten Abwehrkampf gegen die syrische Armee liefern. Danach setzte die Armee ihren Vormarsch ungeachtet der vereinbarten Waffenruhe fort. "Artilleriebeschuss ist in der ganzen Provinz Hama zu hören", sagte auch der Leiter der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, gestern. "Auch Homs steht weiterhin unter Beschuss." Der Sprecher des syrischen Außenministeriums, Dschihad Makdissi, sagte ganz unverblümt, es sei eine "Fehlinterpretation", dass Syrien zugesagt habe, seine Truppen am Dienstag aus den Städten abzuziehen.

+++ Kämpfe in Syrien gehen mit aller Brutalität weiter +++

+++ China mahnt Waffenruhe an +++

Am Ostersonntag hatte das Regime von Staatspräsident Baschar al-Assad plötzlich neue Garantien von Kofi Annan gefordert. Der Sondergesandte der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga sollte dafür sorgen, dass auch die als "bewaffnete Terrorgruppen" bezeichnete Opposition Gewalt "in jeder Form" beende. Die Rebellen der "Freien Syrischen Armee" operieren vor allem aus Verstecken im türkischen Bergland heraus. Allein am Montag soll es mindestens 160 weitere Todesopfer bei den Kämpfen gegeben haben; die Gesamtzahl der Opfer in dem syrischen Drama dürfte allmählich 10 000 betragen. Nach Angaben der Opposition haben syrische Soldaten allein in den vergangenen Tagen mehr als 1000 Menschen getötet. Die syrischen Truppen gehen mit äußerster Brutalität vor und lassen immer wieder Bomben und Artilleriegranaten auf Wohngebiete in den rebellischen Städten regnen.

Ole Solvang von der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) legte ein Dokument vor, in dem von mehr als einem Dutzend Massakern die Rede ist. "In einem verzweifelten Versuch, den Aufstand niederzuschlagen, haben syrische Truppen kaltblütig Menschen exekutiert - Zivilisten und Oppositionskämpfer gleichermaßen", sagte Olvang im US-Sender CNN. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, bezeichnete die syrische Regierung als "eines der grausamsten Regime weltweit". Löning sagte im Sender hr-iNFO: Was in Syrien passiere, sei "unvorstellbar unmenschlich". Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), sagte im Deutschlandfunk, er sehe keine Chance mehr, dass der Friedensplan für Syrien noch umgesetzt werden kann. Die Lage habe sich nach den Vorfällen an der türkischen Grenze - bei denen syrische Soldaten bis in das überfüllte Flüchtlingslager Kilis hineingefeuert hatten - deutlich verschlechtert. Präsident Assad habe die Vereinbarungen mit Kofi Annan gebrochen und nicht verstanden, dass er seine Truppen anweisen müsse, die Gewalt zu unterbinden, sagte Polenz.

Nach Schätzungen des Uno-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR haben inzwischen rund 50 000 Syrer in den Nachbarstaaten Zuflucht gesucht, davon mehr als die Hälfte in der Türkei. In Syrien selber sind wegen der Kämpfe bereits mehr als eine Million Menschen von humanitärer Hilfe abhängig.

Die Türkei errichtet derweil neue Auffanglager, doch der Vorfall an der türkisch-syrischen Grenze, bei dem zwei Türken und zwei Syrer auf türkischem Staatsgebiet angeschossen sowie auf syrischer Seite zwei Menschen erschossen und 19 verletzt wurden, hat die Beziehungen zwischen den Nachbarstaaten gefährlich belastet.

Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan warf Syrien eine "klare Verletzung der Staatsgrenze" vor und drohte, sein Land werde nun "die nötigen Maßnahmen ergreifen", die es nach internationalem Recht habe. Wegen der Krise an der Grenze hat der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu seine China-Reise abgebrochen und ist in die Türkei zurückgekehrt. Erdogan blieb noch dort - es ist immerhin die erste China-Reise eines türkischen Ministerpräsidenten seit 27 Jahren.

+++ Assad-Regime: Ziehen Truppen aus den Städten ab +++

+++ Syrische Soldaten töten Flüchtlinge im Grenzgebiet +++

Der Berliner "Tagesspiegel" berichtete indessen von einer weiteren Zuspitzung. Nach Angaben der Zeitung hat die Regierung in Ankara geheimdienstliche Hinweise darauf, dass das syrische Regime eine Kooperation mit den Kämpfern der auch in Deutschland verbotenen kurdischen Rebellenorganisation PKK eingegangen ist. "Die Türkei ist besorgt", sagte ein hoher Regierungsvertreter. Die PKK kämpft seit Jahrzehnten mit Anschlägen für einen eigenen Staat. Kurdenrebellen sollen nun in Syrien aktiv sein und unter anderen oppositionelle Kurdenpolitiker töten und Assad-Kritiker im Norden Syriens drangsalieren. Diese Entwicklung gilt als potenziell gefährlich, da die Türkei bei einer weiteren Eskalation eine Intervention in Syrien erwägen könnte, um ihre nationalen Interessen zu schützen.

Die Zeitung "Milliyet" berichtete von fertigen Plänen für die Errichtung einer türkischen Sicherheitszone auf syrischem Boden. Russland, der alte Verbündete und Waffenlieferant Syriens, hat stets vor einer ausländischen Militärintervention gewarnt. China und Russland haben im Sicherheitsrat Sanktionen der Uno gegen das Regime in Damaskus verhindert. Allerdings forderte gestern auch der Sprecher des Außenministeriums in Peking, Liu Weimin, "sofortige und praktische Antworten" auf den Annan-Friedensplan. Ein westliche Militärintervention in Syrien gilt derzeit als sehr unwahrscheinlich.