Nach den überraschenden Forderung von Afghanistans Präsidenten Karsai nach einem Truppenabzug 2013 ringt die Nato um den Zeitpunkt.

Hamburg. Nach der überraschenden Forderung des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, der Abzug der Nato-Truppen vom Hindukusch solle schon 2013 erfolgen, bemühen sich die Staaten der Allianz, einem überhasteten "Wettrennen Richtung Ausgang" entgegenzuwirken. Die Aussagen zu Karsais Vorstoß sind jedoch teilweise widersprüchlich. Beim Besuch von US-Verteidigungsministers Leon Panetta hatte Karsai gesagt, er wolle den Übergabeprozess von den internationalen Truppen auf die afghanische Armee von Ende 2014, wie bislang geplant, auf 2013 vorziehen. Zudem forderte er, dass sich die ausländischen Streitkräfte auf ihre Basen zurückziehen sollten. Die afghanische Armee sei bereits selber in der Lage, für Sicherheit im Lande zu sorgen. Angesichts der heftigen internationalen Reaktion relativierte sein Sprecher Aimal Faizi nun gegenüber "Spiegel Online", die Nato könne bis 2014 bleiben. Karsai habe nur die Beschleunigung des Übergabeprozesses eingefordert.

In Washington sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, die US-Regierung gehe nach wie vor vom Übergabezeitpunkt Ende 2014 aus. Man werde sich an den Plan von US-Präsident Barack Obama halten und 2013 zunächst auf eine "unterstützende Rolle" umstellen, sagte Carney. Doch die Übergabe solle erst 2014 erfolgen.

+++ Präsident Karsai vermutet geplante Aktion hinter Amoklauf +++

Die Lage in Afghanistan hatte sich nach dem Amoklauf eines US-Feldwebels in einem afghanischen Dorf mit 16 zivilen Toten, darunter neun Kinder, weiter erheblich verschärft. Das Massaker war offenbar auch Auslöser für Karsais Forderungen sowie für die Aufkündigung der Gesprächsbereitschaft durch die radikalislamischen Taliban. Das Islamische Emirat betrachte Gespräche mit den USA und der Regierung von Karsai als "Zeitverschwendung", hatten die Taliban erklärt. Die USA zeigten keinerlei Willen, Abmachungen einzuhalten, und verträten einen "wackeligen, sprunghaften und vagen Standpunkt". Karsais "Handlangerregime" könne keine Entscheidung ohne Einverständnis Washingtons treffen. "Ich bin richtig schockiert - das sind zwei ganz schlechte Nachrichten", zitierte der Londoner "Guardian" einen hohen westlichen Diplomaten in Kabul zu den beiden Forderungen Karsais. "Das ist ganz sicher der trübste Tag meiner ganzen Zeit hier in Afghanistan." Schon der Abzugszeitpunkt Ende 2014 hatte angesichts der dramatischen Sicherheitslage und der Inkompetenz der afghanischen Streitkräfte als sehr ambitioniert gegolten. Bei der Nato und ihren Mitgliedstaaten und in Kabul bemühte man sich daher, die Äußerungen Karsais zumindest zu entschärfen. "Ich wüsste nicht, wie das den Plan verändert", meinte ein US-Regierungsbeamter in Afghanistan. Und Karsais Abzugsberater Ashraf Ghani formulierte es sportlich: "Das versetzt doch gar nicht die Torpfosten. Jeder ist doch froh, wenn es schneller geht - vorausgesetzt, die Bedingungen dafür stimmen."

Allerdings betonte Karsais Stabschef Abdul Karim Khurram, der bei dem Treffen mit Karsai zugegen war, gegenüber der "New York Times": "Die Forderung war, dass die Übergabe der Sicherheit in diesem Jahr beginnt und 2013 anstatt 2014 abgeschlossen ist." Ein Nato-Diplomat sagte in Brüssel: "Wenn man den Prozess beschleunigen kann, dann soll das sicherlich so sein". Auf dem Nato-Gipfel Ende Mai soll festgelegt werden, wie der Abzug "erfolgreich" abgeschlossen werden kann.

Das Verteidigungsministerium in Berlin erklärte dagegen, es bleibe bei Ende 2014. "Wir haben eine Vereinbarung innerhalb des Bündnisses - und die steht", sagte ein Sprecher. Ressortchef Thomas de Maizière (CDU) sagte, Karsai verlange etwas, "das ohnehin schon geplant ist". Es sei bereits vorgesehen, die Übergabe der Sicherheitsverantwortung in allen Provinzen 2013 abzuschließen. Teil dieses Prozesses sei aber auch, "dass man danach weitere zwölf bis 18 Monate schaut, ob dieser Prozess hält". Insofern stimme beides: Die Übergabe sei 2013 abgeschlossen, die Mission aber erst 2014.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte nach einem Bericht der "Rheinischen Post", Deutschland verhalte sich "synchron mit den afghanischen und internationalen Partnern". SPD-Fraktionsvize Gernot Erler interpretierte dies als mögliche Zustimmung für Karsais Forderungen und forderte von Westerwelle Aufklärung im Bundestag darüber, ob es Pläne für einen vorgezogenen Abzug gebe.