Ein Jahr Unabhängigkeit. Dennoch: Noch immer vertreiben anhaltende Stammeskämpfe Zehntausende. Katastropheneinsatz geplant

Nairobi/Juba. Mehr Sicherheit und bessere Lebensbedingungen hatten sich die Menschen im Südsudan erhofft, als sie vor einem Jahr mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeit ihres Landes vom Sudan stimmten. Doch auch ein halbes Jahr nach der offiziellen Trennung vom nördlichen Nachbarn kommt der jüngste Staat der Erde nicht zur Ruhe. Nachdem Zehntausende Menschen in Panik vor neuen Stammeskämpfen in den Busch flüchteten und vermutlich mehrere Hundert ums Leben kamen, bereiten Hilfsorganisationen nun auf Bitten der Regierung einen groß angelegten Katastropheneinsatz vor, wie die Uno ankündigte.

+++ Südsudan: Zehntausende flüchten vor Gewalt +++

Die Situation an der neuen Grenze ist gespannt. Schon lange schwelende Konflikte gären weiter und führen immer wieder zu Gewaltausbrüchen. Weder wurde die Grenze bislang vollständig markiert, noch konnten sich beide Länder über die Aufteilung der Erdöleinahmen einigen. Zudem blieben bei der Abspaltung zwei große Bevölkerungsgruppen im Süden Sudans in einer Zwangslage zurück, die die Regierung in Khartum als Rebellen betrachtet und seit Monaten immer wieder angreift. Dass bei den Luftangriffen auf südsudanesischem Gebiet in den Provinzen Blauer Nil und Südkordofan auch Flüchtlingslager und Dörfer bombardiert wurden, löste internationale Kritik aus.

Unabhängig davon geraten die Stämme der Murle und der Lou Nuer seit Jahren aneinander. Meist geht es um Land und um Viehdiebstahl. Tausende Menschen wurden dabei bereits getötet.

Hunderte Todesopfer befürchtet

Ende Dezember flammten diese Kämpfe in der Stadt Pibor wieder auf. 6.000 bewaffnete Lou Nuer marschierten den UN zufolge auf die Stadt, um die dortigen Murle anzugreifen. Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen sind 60.000 Menschen von der Gewalt betroffen. Mehrere Zehntausend Frauen und Kinder flohen nach Angaben der Initiative Save the Children aus der Stadt und versteckten sich im Busch. „Die Kinder in der Gegend leben ohnehin schon in ständiger Angst vor Gewalt und werden oft bei Überfällen verschleppt. Wenn die Kämpfe weitergehen, könnten noch Tausende getötet, verstümmelt, entführt oder zwangsrekrutiert werden“, warnte die Gruppe.

Ein Beamter der Regierung sagte, Tausende Menschen seien getötet worden. Eine Bestätigung dafür gibt es jedoch nicht. Die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe im Südsudan, Lise Grande, schätzt, die Zahl der Todesopfer könne in die Hunderte gehen. Die Situation in der Region sei grauenvoll. Die Menschen seien so überstürzt geflüchtet, dass sie nichts hätten mitnehmen können. Sie hätten im Busch nichts zu essen und kein sauberes Wasser, viele seien verwundet. Grande betonte, der geplante Hilfseinsatz sei einer der teuersten und komplexesten im Land seit dem Friedensvertrag zwischen Sudan und Südsudan 2005, da die betroffene Region nur mit Flugzeugen zu erreichen seien

150 Kinder gingen verloren

Auch zwei Einrichtungen der Ärzte ohne Grenzen wurden angegriffen, wie die Organisation berichtete. Sie habe ihre ärztliche Hilfe in der Region vorübergehend einstellen müssen. Das Dorf Lekongole sei dem Erdboden gleich gemacht worden und Pibor gleiche einer Geisterstadt, sagten Mitarbeiter, die am 28. Dezember in der Stadt waren. „Tausende Menschen in Lekongole und Pibor sind letzte Woche um ihr Leben gerannt und verstecken sich jetzt im Busch“, sagte Einsatzleiter Parthesaraty Rajendran. „Sie sind in aller Eile geflohen und haben weder Essen noch Wasser. Bestimmt sind viele verwundet. Jetzt sind sie auf sich allein gestellt, im Versteck, außerhalb der Reichweite humanitärer Hilfe.“

Inzwischen habe sich die Lage in Pibor stabilisiert, erklärte David Gai, ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes in Südsudan. Einige Hundert Menschen seien in die Stadt zurückgekehrt. Doch rund 150 Kinder, die auf der Flucht von ihren Familien getrennt worden seien, könnten ihre Eltern nicht finden. Freiwillige Helfer versuchten, die Kinder zu registrieren. Was aus den Eltern geworden sei, wisse man nicht. „Wir gehen davon aus, dass manche nicht mehr am Leben sind, dass manche getötet wurden.“