Deutsche Politiker, die den Sturm auf die Gaza-Flotte miterlebten, erheben schwere Vorwürfe gegen Israel. Entschuldigen will sich das Land jedoch nicht.

Drei deutsche Linkspartei-Politiker, die an Bord des Schiffskonvois mit Hilfsgütern für Gaza waren, haben die Erstürmung der Boote durch die israelische Armee als „Kriegsverbrechen und klaren Akt der Piraterie“ gewertet. Der Angriff sei vollkommen unverhältnismäßig gewesen, sagte der frühere Bundestagsabgeordnete und Rechtsprofessor Norman Paech am Dienstag in Berlin nach seiner Rückkehr aus Israel.

Paech wies Berichte zurück, die maskierten Elitesoldaten hätten nur in Notwehr zur Selbstverteidigung scharf geschossen, weil sie mit Eisenstangen, Äxten und auch Messern angegriffen worden seien. Er persönlich habe vor der Attacke auf dem Schiff „Mavi Marmara“ lediglich „zwei lange und einen etwas kürzeren“ Holzstöcke gesehen.

Während der Erstürmung selbst war Paech auf dem Unterdeck. Er könne daher nicht ausschließen, dass oben auch Stangen zur Attacke auf israelische Soldaten benutzt worden seien, räumte er ein. Aus seiner Sicht wäre jedoch „nichts daran auszusetzen“, wenn einzelne Gaza-Aktivisten versucht haben sollten, „die Soldaten zu entwaffnen“.

Die beiden Bundestagsabgeordneten der Linken, Inge Höger und Annette Groth, berichteten, sie seien zusammen mit allen mitreisenden Frauen während der Erstürmung am frühen Morgen auf einem Unterdeck eingeschlossen gewesen. Ihnen sei noch unklar, ob dies von den türkischen Aktivisten, die das Kommando führten, veranlasst wurde oder von den Israelis. Höger sagte: „Wir haben uns wie im Krieg gefühlt.“ Sie appellierte an die israelische Regierung, alle festgenommenen Aktivisten freizulassen. Die Mission habe friedliche Zwecke verfolgt. „Niemand hatte eine Waffe.“

Israelische Soldaten hatten am Montag gewaltsam mehrere Schiffe aufgebracht, mit denen pro-palästinensische Aktivisten Hilfsgüter in den von Israel blockierten Gazastreifen bringen wollten. Bei dem Einsatz gegen sechs Schiffe in internationalen Gewässern wurden neun pro-palästinensische Aktivisten getötet und Dutzende Menschen verletzt. Das blutige Vorgehen der Streitkräfte stieß im Ausland auf Empörung und scharfe Kritik. Für politischen Zündstoff sorgt auch die Inhaftierung von mehr als 600 der insgesamt 700 pro-palästinensischen Aktivisten in einem Gefängnis in der Negev-Wüste – eine in dieser Dimension nie dagewesene Aktion. Unter den Häftlingen ist auch der in Deutschland sehr beliebte schwedische Krimi-Autor Henning Mankell. Binnen 72 Stunden soll entschieden werden, ob die Ausländer angeklagt oder abgeschoben werden.

Am Vormittag waren fünf von elf deutschen Aktivisten wohlbehalten zurück in Deutschland gelandet. Außenminister Guido Westerwelle verlangte Aufklärung über das Schicksal von sechs weiteren Bundesbürgern, die ebenfalls Teilnehmer an dem Hilfskonvoi waren.

Der Weltsicherheitsrat forderte ebenfalls eine sofortige unabhängige Untersuchung. Diese müsse „unabhängig, glaubwürdig und transparent“ sein, hieß es in einer am frühen Dienstag vom Rat verabschiedeten Präsidentenerklärung. Um den Wortlaut hatten die USA, der Libanon als Ratsvorsitzender im Mai sowie die Türkei knapp zwölf Stunden miteinander gerungen. Am Ende enthielt sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einer Verurteilung Israels und verurteilte nur das Vorgehen, das zu Toten und Verletzten führte. Israel wird im Text der Erklärung nicht namentlich genannt.

Der Sicherheitsrat fordert Israel zudem in seiner völkerrechtlich bindenden Erklärung auf, die Aktivisten wieder auf freien Fuß zu setzen und auch die Schiffe wieder freizugeben. Israel solle dafür sorgen, dass die humanitären Güter, die der Hilfskonvoi an Bord hatte, den Gazastreifen erreichen.

Das oberste Weltgremium war auf Antrag der Türkei am Montag, einem US-Feiertag, zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengekommen, um das Vorgehen der Israelis gegen die „Gaza-Solidaritätsflotte“ zu erörtern. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu, der an der offenen Aussprache im Rat teilnahm, bezichtigte Israel eines „schweren Verbrechens“. Es gebe keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung für die Tat, sagte er.

Israel sieht hingegen keinerlei Grund für eine Entschuldigung. „Wir müssen uns nicht dafür entschuldigen, dass wir uns selbst verteidigt haben“, sagte Vizeaußenminister Danny Ajalon nach Angaben seines Büros in Jerusalem. Ajalon bezeichnete die sechs Schiffe der „Gaza-Solidaritätsflotte“ als eine „Armada des Hasses und der Gewalt“. Sie sei nur ein Beispiel für die „ständigen Provokationen, denen Israel ausgesetzt“ sei.

Der stellvertretende Außenminister fällte auch ein vernichtendes Urteil über die rund 700 pro-palästinensischen Aktivisten an Bord der Schiffe. „Bitte sagen Sie mir, welche Friedensaktivisten haben lange Messer und Schlagstöcke aus Metall dabei und versuchen andere umzubringen“, sagte er.