Das Schicksal von Norman Paech ist ungewiss. Es gab offenbar 10 Tote bei der Erstürmung durch israelische Elitesoldaten. Wer schoss zuerst?

Jerusalem/Ankara. Unter den Friedensaktivisten des Hilfskonvois nach Gaza war auch ein prominenter Hamburger Linken-Politiker. Norman Paech (72) war früher unter anderem Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP). Paech trat nach 32 Jahren Mitgliedschaft wegen des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr aus der SPD aus. Für die Linke saß er von 2005 bis 2009 im Bundestag und war außenpolitischer Experte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in Gesprächen mit den Regierungschefs von Israel und der Türkei ihtre "tiefe Sorge" deutlich gemacht und "schnellstmögliche Aufklärung" gefordert. Außerdem, so Merkel, habe sie darum gebeten, schnell Informationen über das Schicksal der Deutschen an Bord zu erhalten.

Jede Bundesregierung unterstütze vorbehaltlos das Recht Israels auf Selbstverteidigung, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm.

„Es ist aber selbstverständlich, dass dieses Recht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausgeübt werden muss. Der erste Anschein spricht nicht dafür, dass dieser Grundsatz eingehalten worden ist“, sagte Wilhelm. „Aber man soll nicht nach dem ersten Anschein urteilen“, so Wilhelm. Auch Merkel sagte, es stelle sich die dringende Frage derVerhältnismäßigkeit.

Nach der gewaltsamen Erstürmung durch israelische Elitesoldaten ist die Situation unklar. Es gab keine Nachrichten über das Schicksal des schwedischen Bestseller-Autors Henning Mankell und der beiden deutschen Linkenabgeordneten, die Teil der Hilfsaktion gewesen sein sollen. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi bestätigte, dass die beiden Bundestagsabgeordneten Inge Höger und Annette Groth sowie der ehemalige Abgeordnete Norman Paech an Bord sind. Gysi sagte, er erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich unverzüglich für das Ende der Gewalt einsetze. Außerdem waren Matthias Jochheim von der deutschen Sektion der Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges (IPPNW) und Nader el Sakka von der Palästinensischen Gemeinde Deutschland an Bord, insgesamt sechs Deutsche.

Bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den israelischen Soldaten und den Aktivisten wurden vermutlich 10 Aktivisten getötet. Es soll nach Angaben des israelischen Fernsehens 26 Verletzte geben. Nach den Worten des israelischen Armeesprechers Avi Benajahu sind vier israelische Soldaten verletzt worden, davon einer schwer.

Nach unbestätigten Medienberichten sollen bei dem Militäreinsatz in internationalen Gewässern im Mittelmeer sogar bis zu 16 der 570 pro-palästinensischen Aktivisten an Bord des türkischen Passagierschiffes „Marmara“ getötet worden sein.

Nach Darstellung der israelischen Armee waren gewaltbereite Aktivisten für den blutigen Zwischenfall verantwortlich. Sie hätten Soldaten mit Schusswaffen, Messern und Schlagstöcken angegriffen. Die Organisation „Free Gaza“ bestritt hingegen, dass Aktivisten auf Soldaten geschossen oder die blutige Gewalt ausgelöst hätten.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat sich „tief besorgt“ über die Aktion der israelischen Armee geäußert. „Das sind bestürzende erste Nachrichten“, sagte Westerwelle. Das Auswärtige Amt bemühe sich um eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts.

In der Türkei trafen sich die Minister und die Militärchefs zu einer Dringlichkeitssitzung. Das türkische Außenministerium verurteilte den israelischen Einsatz scharf und warf Israel vor, internationales Recht gebrochen zu haben. In Ankara und einigen anderen Hauptstädten wurde der israelische Botschafter einberufen. Die griechische Regierung brach umfangreiche Luftwaffenmanöver mit Israel in der Ägäis ab. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sprach von einem „Massaker“ und „abscheulichen Verbrechen“.

Die mehr als 700 pro-palästinensischen Aktivisten an Bord von sechs Schiffen der „Gaza-Flotte“ wollten rund 10.000 Tonnen Hilfsgüter trotz einer von Israel verhängten Seeblockade in den Gazastreifen bringen. Die israelische Regierung hatte bereits im Vorfeld angekündigt, dies mit allen Mitteln verhindern zu wollen. Israel hatte den Aktivisten angeboten, die Hilfsgüter im Hafen von Aschdod zu löschen.

Über den Zwischenfall gibt es unterschiedliche Darstellungen der israelischen Armee und der Aktivisten. Armeesprecher Benajahu sagte, man habe die Aktivisten auf den sechs Schiffen mehrmals aufgefordert, sich friedlich zu ergeben. Dies sei jedoch scharf zurückgewiesen worden. Daraufhin seien Elitesoldaten mit Strickleitern sowie mit Leitern aus Hubschraubern an Bord gekommen.

Bei der Stürmung seien die Soldaten von den Aktivisten mit „schwerer Gewalt“ empfangen worden. Sie hätten versucht, die Truppen zu „lynchen“, so der Sprecher. „Dies sind sehr aggressive Leute, keine Friedensaktivisten“, sagte der Militärsprecher. Einer von ihnen habe einem der Soldaten das Gewehr entrissen und es offenbar gegen andere Soldaten eingesetzt. Andere hätten die Truppe mit Messern und Schlagstöcken angegriffen.

Angesichts der Gewalt hätten die Soldaten „Mittel zur Auflösung von Demonstrationen“ eingesetzt und – als sie keine andere Wahl mehr hatten – auch scharfe Munition, sagte Benajahu. „Ich möchte hier auch Bedauern ausdrücken“, sagte der Militärsprecher. „Wir wollten, dass diese Aktion ohne Opfer ausgeht.“

Dagegen verwiesen die Organisatoren von „Free Gaza“ auf Videoaufnahmen von Bord des Schiffes. Daraus gehe hervor, dass Soldaten in dem Moment begonnen hätten zu schießen, als sie an Bord kamen.

Ein Besatzungsmitglied des griechischen Schiffes „Eleftheri Mesogeios“, das zur Flotte gehört, schilderte im griechischen Fernsehsender Skai die Aktion aus seiner Sicht: „Die (Israelis) haben fast alle Leute weggeschleppt. Ich und der Kapitän und noch einer sind noch hier. Sie haben mit Gummikugeln geschossen. Sie haben Menschen angeschossen. Sie haben Leute geschlagen.“

Die Europäische Union hat eine Untersuchung des israelischen Militäreinsatzes gegen einen Schiffskonvoi mit Hilfsgütern für den Gazastreifen gefordert, bei dem mindestens zehn Aktivisten getötet wurden. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton äußerte ihr tiefes Bedauern über die Todesfälle und übermittelte den hinterbliebenen Familien ihr Mitgefühl. Eine Sprecherin von Ashton erklärte: „Im Namen der Europäischen Union fordert sie eine vollständige Untersuchung der Umstände, die dazu führten.“

Zugleich rief Ashton Israel auf, die Blockade des Gazastreifens für Hilfslieferungen und normale Handelsgüter „sofort und ohne Bedingungen“ zu lockern. Auch die Ein- und Ausreise von Personen dürfe nicht länger durch Israel unterbunden werden. Die israelische Blockade-Politik sei „inakzeptabel und politisch kontraproduktiv.

Die Palästinenser haben eine Dringlichkeitssitzung des Uno-Sicherheitsrates gefordert. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas habe den palästinensischen Uno-Vertreter in New York angewiesen, eine solche Sitzung zu fordern, sagte der palästinensische Chefunterhändler Sajeb Erakat in Ramallah. Die Arabische Liga berief für Dienstag eine außerordentliche Sitzung ein. Bei der Sitzung in Kairo solle „eine gemeinsame arabische Haltung“ gefunden werden, sagte Liga-Chef Amr Mussa. Der israelische Angriff auf die „Friedens-Flottille“ sei „eine sehr starke Botschaft, mit der Israel signalisiert, dass es keinen Frieden will".