Der Star der Liberal Democrats hat binnen kurzer Zeit ein echtes Dreiparteiensystem etabliert. Die Wahl am 6. Mai wird spannend.

Hamburg/London. Seine Umgebung entflammen konnte Nick Clegg eigentlich schon immer. Als 16-jähriger Austauschschüler in München fackelte er in einem entgleisten Streich die seltene Kakteensammlung eines deutschen Professors ab - und wurde zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt.

Derzeit entflammt der 43 Jahre alte britische Politiker mit Charisma und erfrischenden Ansichten weite Teile seines Landes.

Der Chef der Liberaldemokratischen Partei liefert sich im Wahlkampf ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Führer der konservativen Tories, David Cameron. In vielen Umfragen führt Clegg sogar. Das ist so, als würden Guido Westerwelle und seine Freien Demokraten die CDU abhängen. Denn lange Zeit fristeten die liberalen Demokraten im Königreich das Dasein eines Blinddarms, von dem man weiß, dass er vorhanden ist, von dem man aber hofft, dass er sich nicht weiter störend bemerkbar macht.

In die Parlamentswahlen am 6. Mai hat Nick Clegg jedenfalls erhebliche Spannung gebracht, der US-Sender CNN sprach von einem "Stromschlag", die britische Presse jauchzt permanent das Wort "Cleggmania".

Von einer schnurgeraden Politikerkarriere kann beim lässigen Nick allerdings keine Rede sein. Er war - passend zum angenehmen Äußeren - Skilehrer in Österreich, Banker in Helsinki, studierte Anthropologie, Archäologie und Philosophie, war Journalist und bei der Europäischen Kommission, bevor der britische Handelskommissar Leon Brittan sein politisches Talent entdeckte. Clegg kandidierte 2005 erfolgreich für einen Sitz im Unterhaus und wurde 2007 Parteichef der Liberal Democrats.

Erzkonservative Kritiker murren, Nick Clegg sei ja nur zu einem Viertel Brite. Tatsächlich schillern Abstammung und Familienverhältnisse des Shootingstars in multinationalen Facetten. Seine Mutter ist die in Indonesien geborene niederländische Lehrerin Hermance von den Wall Bake, verheiratet ist Nick Clegg mit der spanischen Juristin Miriam Gonzalez Durantez. Sein Vater Nick ist englisch-russischer Abstammung. Und hier wird es nobel: Denn dessen Mutter Kira von Engelhardt war die Enkelin des obersten Juristen am Hofe des Zaren. Und die Großtante von Nick senior war die russische Schriftstellerin Baronin Moura Budberg, die im Verdacht stand, englisch-sowjetische Doppelagentin zu sein. Diese faszinierende Frau, die auch Drehbücher für Hollywoodfilme schrieb, war die Geliebte unter anderem der weltberühmten Autoren Maxim Gorki und H. G. Wells.

Nick Clegg hat sich als wohl einziger führender britischer Politiker offen dazu bekannt, Atheist zu sein. Zudem fordert er die Verschrottung der britischen "Trident"-Atomraketenflotte - was glühende Debatten in Großbritannien ausgelöst hat. Ein besonders lebhaftes Echo erhielt der Chefliberale, nachdem der "Daily Telegraph" jüngst einen Clegg-Artikel von 2002 ausgegraben hatte. Darin wirft er seinem Land ein "falsches Überlegenheitsgefühl, genährt durch die Illusion von Größe" vor. Der Artikel ging zurück auf ein Erlebnis in Deutschland, bei dem Clegg englische Kinder auf Klassenreise grölen hörte: "Euer Land gehört uns; wir haben den Krieg gewonnen." Clegg diagnostizierte eine "verdrehte Besessenheit" seiner Landsleute bezüglich der Deutschen und des Zweiten Weltkrieges. Es sei eben für die britische Seele nicht leicht gewesen, zu beobachten, wie sich Deutschland nach dem Krieg von den Knien erhoben habe und ein sehr viel wohlhabenderes Land als Großbritannien geworden sei.