Generalstreik in Griechenland. Protestbewegung geht weit über die anarchistische Szene hinaus. Bilder: Chaos in Griechenland

Athen. Aus den Unruhen anarchistischer Gruppen ist eine umfassende außerparlamentarische Oppositionsbewegung geworden: Gestern legte ein Generalstreik Griechenland lahm. Der war zwar bereits vor dem Tod eines Jugendlichen durch Polizeischüsse am vergangenen Sonnabend angekündigt gewesen, die großen Gewerkschaften ignorierten aber einen Appell des konservativen Ministerpräsidenten Konstantinos Karamanlis, auf den Aktionstag nach tagelangen Unruhen zu verzichten.

Tausende gingen in Athen und anderen griechischen Städten auf die Straße, um gegen die Auswirkungen der Finanzkrise und gegen den Tod des 15-jährigen Alexandros Grigoropoulos zu demonstrieren. Die kleinen autonomen und anarchistischen Gruppen stehen mit ihrer Wut auf das Establishment nicht mehr allein, sondern haben Unterstützung und Zulauf von Studenten, die keine Arbeitsplatzperspektive haben, und auch von etablierten politischen Organisationen.

"Es ist ganz einfach: Wir wollen diese Regierung stürzen sehen", sagte ein Aktivist, Petros Constantinou von der Sozialistischen Arbeiterpartei. "Diese Regierung will, dass die Armen für die Probleme des Landes bezahlen - und nie die Reichen. Und sie wollen die, die protestieren, mit Polizeiunterdrückung unten halten." Die größte Oppositionspartei, die Sozialisten unter Führung von Georgios Papandreou, greifen die Emotionen auf und fordern im Gefühl eines sicheren Sieges eine vorzeitige Neuwahl. Karamanlis hat dies bislang ignoriert, seine Partei Neue Demokratie (ND) hat eine Mehrheit von 151 Abgeordneten im 300 Sitze zählenden Parlament. Die äußerst knappe Mehrheit wirkt vorerst stabilisierend für ihn: Bei einem Vorsprung von 4,8 Prozent für die Sozialisten in Umfragen setzt momentan kein Abgeordneter seiner Partei seine politische Laufbahn aufs Spiel, indem er für eine Parlamentsauflösung stimmt.

Die Polizei erwartete fast schon fatalistisch den Generalstreik: "Am Morgen gibt es eine weitere Versammlung mit allem, was das bedeuten mag", sagte Polizeisprecher Panayiotis Stathis in der Nacht zum Mittwoch, die im Vergleich zu den vorigen relativ ruhig blieb. Der Athener Bürgermeister Nikitas Kaklamanis zeigte sich vom Ausmaß der Gewalt erschüttert: "Der Wind der Zerstörung weht durch die Straßen unserer Stadt." Auch gestern flogen wieder Steine, auch vor dem Gerichtsgebäude, in dem die beiden wegen des Todes von Grigoropoulos suspendierten Polizisten vernommen wurden. Sie sind des Mordes beziehungsweise der Mittäterschaft beschuldigt. Ihr Verteidiger sagte, einem ballistischen Gutachten zufolge sei der Jugendliche von einem Querschläger, also nicht von einem gezielten Schuss, tödlich getroffen worden. Am Dienstag kamen 6000 Menschen zu der Beisetzung von Grigoropoulos, am Abend brannten wieder Barrikaden, wurden Geschäfte geplündert, ging die Polizei mit Tränengas gegen Demonstranten vor.

Die Menschenrechtsorganisation warf den Polizisten vor, "gewaltsame Strafmaßnahmen auch gegen friedliche Demonstranten" auszuüben. Die Behörden teilten mit, sie gingen Vorwürfen nach, Beamte hätten am Dienstag Warnschüsse in die Luft abgegeben.

Die politische Zerrissenheit Griechenlands geht bis in die unmittelbare Nachkriegszeit zurück, als es einen Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Nationalisten gab. Von 1946 bis 1949 dauerte der Konflikt, die von den USA und Großbritannien unterstützten Nationalisten gewannen schließlich. Die demokratische Entwicklung wurde 1967 vom Putsch der Obristen gestoppt, bis 1974 herrschte in Griechenland eine Militärdiktatur. Deren Sturz kam auch durch einen Studentenaufstand zustande, daraus gingen Aktivistengruppen mit meist jugendlichen Mitgliedern hervor, die gegen Kapitalismus, Globalisierung und die USA nicht nur agitierten - meist mit Graffiti, aber auch mit nächtlichen Anschlägen auf Läden, Firmenniederlassungen und Büros mit meist überschaubarem Schaden.

Karamanlis sieht sich nun aber inmitten der weltweiten Finanzkrise mit einer Bewegung konfrontiert, die längst nicht mehr auf die anarchistische Szene beschränkt ist, sondern vor allem die Gewerkschaftsbewegung, aber auch weitere Teile der vom Abstieg bedrohten Bevölkerung erfasst hat. "Welche Reform die Regierung auch immer durchzusetzen versucht, die griechische Gesellschaft wird darauf reagieren", sagt der Politikwissenschaftler Anthony Livianios. "Und auch der parlamentarische Widerstand nimmt zu."

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