In China, so die herkömmliche Auffassung hierzulande, werden die Rechte mit Füßen getreten. Wer dort vom Wirtschaftsboom profitiert und Handel...

Peking. In China, so die herkömmliche Auffassung hierzulande, werden die Rechte mit Füßen getreten. Wer dort vom Wirtschaftsboom profitiert und Handel betreibt, im Kleinen wie im Großen, geht seinen Geschäften auf freier Wildbahn nach - in einem Dschungel staatlicher Bürokratie und diffuser Verordnungen.

Nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Meinen die Rechtsprofis der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Peking. Seit gut 20 Jahren unterstützen die Juristen aus Deutschland Bestrebungen, rechtsstaatliche Bedingungen im chinesischen Alltag zu manifestieren. Ihr Jahresetat: rund zwei Millionen Euro aus Töpfen verschiedener Ministerien in Berlin.

Ihre Arbeit begann 1986 mit dem Aufbau eines Patentamtes und setzte sich fort mit der Entwicklung des Sozialrechts. Außerdem werden chinesische Richter geschult. Aufgabe: Wie können die mittlerweile gesetzlich verbrieften Rechte in die Praxis umgesetzt werden?

Es gibt viel zu tun für die ein Dutzend Mitarbeiter des Rechtsbüros, darunter vier deutsche Juristen und drei Referendare. "Als wir kamen, gab es hier kein Recht", sagt Malte Kirchner (31) in der Zentrale im 13. Stock des Ta-Yuan-Diplomaten-Hochhauses in der Liangmahe Nanlu 14 im Herzen Pekings. "Es ist eine interessante Aufgabe, einen Rechtsrahmen zu entwickeln und Fortschritte zu beobachten." Die Erkenntnis des Juristen aus Kiel: "Die Chinesen sind fortschrittlicher, als mancher vermutet - sie wollen schnell und viel lernen."

Was gewiss nicht für die Menschenrechte gilt, soll zumindest im Wirtschaftsleben funktionieren. Deutsche Kaufleute in Peking berichten zum Beispiel von einer konsequenten Auslegung des Arbeitsrechts. "Einem Chinesen zu kündigen ist kein leichtes Unterfangen", weiß Joeran Treppschuh (32), gebürtiger Osnabrücker und seit drei Jahren General Manager der Georgsmarienhütte in China. Eine Reihe strenger Auflagen sei zu erfüllen.

Als echten Fortschritt bezeichnet GTZ-Jurist Malte Kirchner das 2007 parlamentarisch verabschiedete Sachenrechtsgesetz. Darin ist geklärt, was Eigentum überhaupt bedeutet. Und wie es in der Praxis geschützt wird.

"Intensive Detailarbeit und viel Arbeit hinter den Kulissen sind gefragt", weiß Kirchner. Zum Beispiel Lehrgänge, die gemeinsam mit der Nationalen Richterakademie Chinas organisiert werden. Im Oktober ist es wieder so weit: Neun deutsche Richter fliegen nach Fernost, um 300 Kollegen in drei Klassen drei Wochen lang zu schulen und somit fit zu machen für den Alltag im Gericht - da, wo jeder Versuch, Recht durchzusetzen, ein Kraftakt ist. Das in Deutschland gültige kontinentale Recht genieße in der Volksrepublik einen vorzüglichen Ruf. Auch wenn es mancher Falke in der KP-Führung nicht wahrhaben will: Es ist der erklärte politische Wille der Zentralregierung, immer mehr Rechtsstaat einzuführen.

Dazu tragen auch das Deutsch-Chinesische Rechtsinstitut in Nanjing sowie die Bucerius Law School aus Hamburg bei: Beide organisieren gerade wieder - erfolgreich und anerkannt - ihre Sommer-Akademie in Suzhou nahe Shanghai. Das Seminar ist eine gemeinsame Veranstaltung mit der Cornell Law School (Ithaca, USA) und der in Suzhou ansässigen Kenneth Wang Law School. Rund 100 Jurastudenten aus China, den USA und Europa nehmen teil.

"Der Widerhall ist enorm", berichtet Hariolf Wenzler von der Bucerius Law School. Somit sind deutsche Juristen in China präsenter und aktiver, als mancher in der Heimat weiß.

Dass dabei auch Hamburg einen formidablen Ruf genießt, liegt an Professor Hinrich Julius (45), dem Leiter des GTZ-Rechtsbüros in Peking. Der gebürtige Hannoveraner, verheiratet mit Liu Chang aus Peking, wirkt seit 2004 engagiert in Peking. Nach der Promotion in Hamburg baute er den Studiengang Wirtschaftsrecht an der Hochschule Wismar auf und ist weiterhin Professor für Wirtschaftsrecht in der Fakultät Außenwirtschaft und internationales Management an der HAW am Berliner Tor. Seine Erfahrung: "Eine spannendere Arbeit kann man nicht erfinden." Wo sonst könne man schon auf der Ebene der Gesetzgebung mit zukünftigen Gestaltern der Rechtsentwicklung eines derart großen und wichtigen Landes zusammenarbeiten?

Die chinesischen Juristen schätzen den Deutschen Julius nicht nur wegen seiner Kompetenz, sondern auch wegen seines Faibles für fernöstliche Lebensart und seiner Kenntnis von Sitten und Gebräuchen im Lande. "Ich mag den Optimismus der Menschen hier", sagt Hinrich Julius, "sie wollen die Veränderung."

Noch sei es ein weiter Weg, aber er ist beschritten.