Die Reflexe ließen nicht lange auf sich warten. So erwartbar wie lautstark wird nach dem chinesischen Militäreinsatz in Tibet jetzt vielerorts ein Boykott der Olympischen Spiele im Sommer in Peking gefordert. Der Sport soll - wieder einmal - richten, was die Politik nicht schafft. Und während angesichts der knüppelnden chinesischen Soldaten kein Mensch über eine Beendigung von milliardenschweren Handelsgeschäften mit China nachdenkt, verlangt man von jungen Athleten, die jahrelang nur auf dieses eine Ziel hintrainiert haben, dass sie darauf nun doch bitte schön verzichten sollen.

Ein Boykott wäre aber nicht nur heuchlerisch, sondern - und das lehrt der Blick zurück - auch sinnlos. Die Weltpolitik zeigte sich weder 1980, als in Moskau wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan nur 81 der 144 Nationalen Olympischen Komitees (NOK) teilnahmen, noch vier Jahre später in Los Angeles vom Fernbleiben der Athleten aus damals 18 NOKs der Ostblockstaaten sonderlich beeindruckt.

Letztlich wäre ein Boykott gar kontraproduktiv. Nur ganz Naive werden mit der Vergabe der Spiele nach Peking die Hoffnung verbunden haben, dass in diesem Land, das noch immer den Spagat aus Turbo-Kapitalismus und starrem politischen System versucht, von heute auf morgen die Menschenrechte nicht mehr mit Füßen getreten werden und die Demokratie einzieht. Aber statt erneuter Isolation besteht nun die Chance, dass sich die Jugend der Welt im August ihr eigenes Bild vom Reich der Mitte machen kann, und zwar begleitet von bis zu 25 000 Journalisten, denen - und das sicherlich zähneknirschend - als eine Bedingung für den Zuschlag vor sieben Jahren eine freie Berichterstattung zugesagt werden musste.