Interview: Nach Steinmeiers Absage flog die Grünen-Chefin Claudia Roth trotzdem nach Damaskus

ABENDBLATT: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat seinen Syrien-Besuch wegen der israelfeindlichen Äußerungen von Präsident al-Assad abgesagt. Sie sind trotzdem nach Damaskus gereist. Warum?

Claudia Roth: Ich wollte mir einen Eindruck von der humanitären Lage in der Region verschaffen. Humanitäre Hilfe darf nicht von politischen Konflikten abhängen. Das muss man klar trennen. Natürlich gefällt mir überhaupt nicht, was al-Assad gesagt hat. Das ist inakzeptabel und nicht zu rechtfertigen. Das Existenzrecht Israels ist nicht verhandelbar, ein jeder Friedensprozess muss dieses Recht anerkennen. Mit meiner Reise möchte ich das Augenmerk der Öffentlichkeit in Deutschland darauf lenken, dass wir Deutschen bei der humanitären Hilfe eine Vorreiterrolle übernehmen können und müssen. Mehr als 900 000 Libanesen sind vor den Auseinandersetzungen geflohen. Hier gilt es, friedenstiftende Wiederaufbauarbeit zu leisten, unabhängig von Politik und religiöser Zugehörigkeit.

ABENDBLATT: Welche Regionen Syriens besuchen Sie?

Roth: Wir waren beim syrischen Roten Kreuz in Damaskus, danach in Homs, unweit der Nordostgrenze des Libanon. In Homs hatten bis vor wenigen Tagen 50 000 der 180 000 libanesischen Flüchtlinge in Syrien Zuflucht gefunden. Jetzt fahren wir an die syrisch-libanesische Grenze, um mit Hilfsorganisationen darüber zu sprechen, wie die Rückkehr der Flüchtlinge verläuft. Im Libanon sind die Menschen offenbar stark durch nicht explodierte Munition, aber auch durch Landminen gefährdet. Am Donnerstag reisen wir in den Libanon, um uns ein Bild von der humanitären Lage, der Zerstörung der Infrastruktur, aber auch der ölverursachten ökologischen Katastrophe zu machen.

ABENDBLATT: Wie ist die Stimmung in Syrien?

Roth: Es gibt viele offene Wunden. Das Verhältnis zu Israel ist stark belastet, die Situation ist aufgeladen. In jedem Gespräch werden die von Israel seit 1967 besetzten Golan-Höhen thematisiert. Nur wenige glauben, dass der künftige Frieden Bestand haben wird. Dadurch, dass die Einigung auf eine Resolution so viel Zeit in Anspruch nahm, hat der Uno-Sicherheitsrat viel Vertrauen verspielt. Es ist sehr wichtig, dass die Weltgemeinschaft zeigt, wie wichtig ihr das Schicksal der Menschen in der Region ist, indem sie humanitäre Hilfe und Unterstützung beim Wiederaufbau leistet - und gleichzeitig eine dauerhafte Friedenslösung anstrebt. Die Einbeziehung Syriens, wie Steinmeier sie weiter anstrebt, finde ich deshalb absolut richtig. Interview: Marina Küchen