BERLIN. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist zu ihrem ersten offiziellen Besuch im neuen Amt in die USA aufgebrochen. Vor dem Abflug sagte sie gestern in Berlin, sie erwarte einen "Antrittsbesuch, der in freundschaftlicher, partnerschaftlicher und offener Atmosphäre stattfinden wird". Sie werde bei ihrem Treffen mit US-Präsident George W. Bush, das auch dem Kennenlernen dienen solle, die gesamte Themenpalette von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bis hin zur Bekämpfung des Terrorismus besprechen.

"Ich hoffe, daß daraus eine freundschaftliche Zusammenarbeit wird", sagte Merkel. Zu den politischen Themen gehört nach Angaben aus Regierungskreisen die krisenhafte Zuspitzung im Verhältnis zum Iran. Merkel kann nach Angaben aus Regierungskreisen in Washington mit einem protokollarisch hoch angesiedelten Empfang rechnen. Heute widmet ihr US-Präsident Bush im Weißen Haus mehr als drei Stunden seiner Zeit, mehr als je ein Vertreter der rot-grünen Vorgängerregierung erhielt.

Eine Geste der Wiederanknüpfung an alte transatlantische Standards ist auch Merkels Teilnahme an der Eröffnung des neuen Sitzes des German Marshall Funds im früheren deutschen Botschaftsgebäude in Washington. Der Fonds wurde 1972 als Dank für die Marshall-Plan-Hilfe gegründet. Seine Aufgabe ist die Förderung der transatlantischen Beziehungen.

Mißtöne gab es allerdings schon vor dem Abflug aus Berlin. Medien in den USA und in Deutschland veröffentlichten just zu diesem Zeitpunkt Berichte über ein angebliches Engagement des Bundesnachrichtendienstes bei der Bestimmung von Bombenzielen im Irak.

Weitere Mißtöne verursachte das US-Gefangenenlager Guantanamo, in dem Terrorverdächtige ohne Rechtsgrundlage unbefristet festgehalten werden können. Zwar hatte Merkel selbst erklärt, daß dies keine Einrichtung von Dauer sein könne und daß sie dies jedem sage, auch in Washington. Aber im Gefolge verlangten Politiker von Regierung und Opposition, Merkel solle bei Bush massiv im Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechten intervenieren.

Merkel solle bei ihrem Besuch verlangen, "sämtliche geheimen und illegalen CIA-Gefängnisse und Guantanamo zu schließen", sagte der Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi. Der stellvertretende Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, erklärte: "Wenn es auf Dauer nicht hinnehmbar ist, Menschen dort einzusperren, dann steht nach über vier Jahren die Forderung nach der Schließung des Lagers auf der Tagesordnung."

Auch der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Werner Hoyer, forderte eine klare Aussage. Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) appellierte an Merkel, das Thema des "völlig inakzeptablen Gefangenenlagers" bei ihrer Visite "offensiv und direkt" anzusprechen. Er wünsche von ihr "Tapferkeit vor dem Freund". Für eine Schließung Guantanamos sprach sich erneut auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) aus. Aus seiner Ablehnung habe er nie einen Hehl gemacht, sagte er.