“Es gibt Leute, die sich bei mir entschuldigen müssen.“ Am Tag nach dem verheerenden Erdbeben in den Abruzzen zieht der italienische Astrophysiker...

Rom. "Es gibt Leute, die sich bei mir entschuldigen müssen." Am Tag nach dem verheerenden Erdbeben in den Abruzzen zieht der italienische Astrophysiker Giampaolo Giuliani verbittert Bilanz. Der Chef des Katastrophenschutzes, Guido Bertolaso, hatte ihn in eine Gruppe von "Vollidioten, die sich die Zeit damit vertreiben, falschen Alarm auszulösen", eingereiht. Nachdem Giuliani im Internet vor einem schweren Beben gewarnt hatte, das sich am 29. März ereignen sollte, wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den Forscher des Nationalen Instituts für Nuklearphysik eingeleitet. Er war angezeigt worden - sein vermeintlich falscher Alarm hatte zu Panik unter der Bevölkerung geführt. Eine Woche später bewahrheitete sich seine Vorhersage doch noch.

In zweijähriger Arbeit hat der Physiker ein Gerät zur Frühwarnung vor Erdbeben entwickelt. Die umstrittene Methode wurde im nuklearwissenschaftlichen Labor unter der Spitze des Gebirgsmassivs Gran Sasso bei L'Aquila getestet. Doch bislang zeigten sich Seismologen skeptisch über die Erfindung des Forschers: Im Keller von Giulianis Villa am Stadtrand von L'Aquila steht eines von mehreren über die Region verteilten Geräten zur Messung von Radon-Gas, anhand dessen er wichtige Erdbeben-Vorhersagen machen zu können glaubt. Der 70 mal 70 Zentimeter große Bleikasten misst das besonders schwere Radon-Gas, das bei Erdschüben aus dem Gestein austritt. Mit Hilfe seiner Erfindung hatte Giuliani ein Erdbeben in der Abruzzenstadt Sulmona für Ende März vorhergesagt. Eine Woche später bebte die Erde tatsächlich, allerdings im 30 Kilometer entfernten L'Aquila.

Wenn die Bevölkerung von Sulmona in Erwartung eines Bebens in die Provinzhauptstadt L'Aquila evakuiert worden wäre, hätte es noch mehr Opfer gegeben, halten Experten vom Nationalen Institut für Geophysik Giuliani vor. Italiens oberster Zivilschützer Bertolaso bleibt angesichts der Katastrophe bei seiner Überzeugung: "Das Erdbeben war absolut nicht vorherzusehen." Ein Expertenteam habe nach Giulianis Warnung geprüft, ob dessen Angaben ernst zu nehmen seien, und sei zu dem Schluss gekommen, dass die Methode keine genauen Prognosen ermögliche.

Nach dem Erdbeben ist der umstrittene Forscher selbst zum Obdachlosen geworden. Mit vor Müdigkeit dunkel umrandeten Augen verteidigt er dennoch seine Theorie. "Wir müssen lernen, mit Erdbeben zu leben", sagt Giuliani und fügt hinzu: "Die herkömmliche Erdbebenforschung misst Erdbeben, während sie sich ereignen." Seine eigene Methode könne das Leben vieler Menschen retten, da sie helfen könne, die Erdstöße bis zu 24 Stunden im Voraus anzukündigen.

Giuliani sieht seine Mission darin, die Menschen an einen vernünftigen Umgang mit Naturphänomenen wie Erdstößen zu gewöhnen. Italien wird aufgrund seiner Lage an der Schnittstelle zwischen der eurasischen und der afrikanischen Erdplatte seit jeher von Erdbeben heimgesucht. "Wenn wir bei Regen das Haus verlassen, nehmen wir einen Schirm mit. Bei Erdbeben sollten wir lernen, entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen", sagt Giuliani.