Die italienische Stadt L'Aquila gedachte in einer bewegenden Nachtwache der 308 Opfer des schweren Erdbebens vor einem Jahr.

L'Aquila. Als in der Nacht zum 6. April 2009 ein Erdbeben die italienischen Abruzzen erschütterte, hallten Schreie durch die Gassen von L'Aquila. Um 3.32 Uhr rissen die schweren Erdstöße 308 Menschen in den Tod. Mehr als 1600 Menschen wurden bei dem Beben der Stärke 6,3 verletzt, Zehntausende verloren ihre Wohnungen und Häuser. Bis heute leben Tausende in Notunterkünften, Hotels und Kasernen. In einer bewegenden Nachtwache verwandelten in der Nacht zum Dienstag etwa 25.000 Menschen den Domplatz von L'Aquila in ein Kerzenmeer und gedachten der Opfer.

In der mittelalterlichen Stadt wurden nach einer Schweigeminute die Namen der Toten vorgelesen. „Ich werde mich immer an diese dramatischen Tage erinnern, den Stolz der Aquilaner und die Großzügigkeit der Helfer“, sagte Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Die Erdstöße verwüsteten nicht nur die Regionalhauptstadt in Mittelitalien, sondern auch viele kleine Orte.

Im östlich von L'Aquila gelegenen Onna etwa blieb kein Stein auf dem anderen: 90 Prozent des Ortes wurden zerstört; 41 der 280 Einwohner starben. Um 4.32 Uhr, genau ein Jahr und eine Stunde nach der Katastrophe, legte der deutsche Botschafter am Dienstagmorgen den Grundstein für ein neues Gemeindezentrum. Deutschland fühlt sich Onna wegen des Zweiten Weltkriegs verbunden: 1944 hatte die Wehrmacht dort ein Massaker angerichtet, mehr als ein Dutzend unschuldige Zivilisten wurden erschossen.

Die Grundsteinlegung bedeutet Hoffnung für die Menschen in Onna. Auch wenn sie nun in hübschen Fertighäusern leben - direkt neben ihrem in Trümmern liegenden Dorf wollen sie nur eines: zurück nach Hause. Vielen Bürgern von L'Aquila geht das ähnlich. Und so ist es kein Wunder, dass bei den Gedenkveranstaltungen auch Kritik laut wurde - vor allem auch gegen den vor einem Jahr noch als „Vater der Nation“ gefeierten Berlusconi. Denn noch immer gleicht L'Aquila einer Geisterstadt. Der kunsthistorisch wertvolle mittelalterliche Kern ist abgeriegelt - in diese „Zona rossa“ (Rote Zone) darf niemand hinein.

Seit Wochen demonstrieren die Menschen für den Wiederaufbau. „Rivolta delle Carriole“, Schubkarren-Aufstand, nennen sich die Demonstranten, die sich jedes Wochenende aufs Neue Zugang zur Altstadt verschaffen, um mit bloßen Händen die Trümmer beiseitezuschaffen. Bei 4,5 Millionen Kubikmetern Geröll dürfte die Aufräumarbeit lange dauern. Doch die Menschen geben nicht auf. Die Schlafstädte, wie italienische Medien die nach dem Beben erbauten Siedlungen nannten, überzeugen sie nicht. Nach Angaben der Regierung sind bis heute mehr als 50 000 Menschen noch nicht nach Hause zurückgekehrt.