Eine historische Rede an historischem Ort: Von Prag aus mahnt der US-Präsident die Völker, sich von der Erblast des Kalten Krieges zu befreien. Wortlautauszüge.

Ich bin stolz, heute hier zu stehen, hier mit Ihnen zusammen, in dieser großartigen Stadt im Herzen Europas. (...) Wir sind heute hier, weil vor 20 Jahren die Menschen hier auf die Straße gegangen sind, um die Verheißung eines neuen Tages zu proklamieren und das zu fordern, was man ihnen so lange vorenthalten hatte. Die samtene Revolution lehrt uns viele Dinge. (...) So zeigt sie, dass die moralische Führungskraft stärker ist als jede Waffe.

Und deswegen spreche ich heute zu Ihnen im Herzen eines Europas, das friedlich und frei und einig ist. Weil einfache Menschen daran geglaubt haben, dass eine solche Vision möglich ist. Sie haben daran geglaubt, dass die Mauern stürzen, dass der Friede einkehrt. (...)

Wir haben eine gemeinsame Geschichte. Aber unsere Generation kann jetzt nicht stillstehen, nicht auf der Stelle treten. Auch wir müssen eine Entscheidung treffen. Wir sehen, dass die Ereignisse schneller vonstatten gehen als unsere Möglichkeiten, sie zu steuern. Die Weltwirtschaft in der Krise, der Klimawandel, die Gefahren alter Konflikte, neue Bedrohungen und die Verbreitung katastrophaler Waffen: Keine dieser Herausforderungen lassen sich rasch oder einfach lösen. Aber alle verlangen, dass wir einander zuhören und zusammenarbeiten, dass wir uns auf die gemeinsamen Interessen konzentrieren und nicht auf unsere gelegentlichen Differenzen. Und dass wir unsere gemeinsamen Werte bekräftigen, die stärker sind als jede Macht und jede Gewalt, die uns trennen kann.

Diese Arbeit müssen wir voranbringen, und dafür bin ich nach Europa gekommen. (...) Um unseren Wohlstand zu erneuern, brauchen wir Maßnahmen, die über die Grenzen hinweg koordiniert werden: Investitionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, dem Protektionismus widerstehen, der das Wachstum behindert, eine Veränderung in unserem Finanzsystem mit neuen Regeln zur Verhinderung von Missbrauch und zur Verhinderung zukünftiger Krisen. (...)

Wir müssen den Klimawandel angehen und die Abhängigkeit der Erde von fossilen Brennstoffen verringern. Wir müssen neue Energieträger wie Wind und Sonne erschließen. (...)

Ein Thema, das entscheidend für die Sicherheit der Nationen und für Frieden in der Welt ist, sind die Atomwaffen im 21. Jahrhundert. Die Existenz Tausender von Atomwaffen ist das gefährlichste Erbe des Kalten Krieges. Es gab keinen Atomkrieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, aber Generationen mussten mit dem Wissen leben, dass ihre Welt vernichtet werden konnte. In einem einzigen Lichtblitz. Städte wie Prag, die seit Jahrhunderten existieren, die Schönheit und das Talent eines Großteils der Menschen verkörpern, würden ausgelöscht.

Der Kalte Krieg ist zu Ende gegangen. Aber Tausende dieser Waffen existieren weiter. Es ist eine seltsame Wendung der Geschichte: Die Gefahr eines weltweiten Atomkriegs hat sich verringert, doch das Risiko eines atomaren Angriffs ist gestiegen. Mehrere Nationen haben solche Waffen entwickelt, die Tests gehen weiter, der Handel auf dem Schwarzmarkt mit spaltbarem Material blüht. Die Technologie zum Bau einer Bombe wurde verbreitet.

Terroristen sind entschlossen, eine solche Waffe zu kaufen, zu bauen oder zu stehlen. Und deswegen brauchen wir ein weltweites Nichtverbreitungssystem. Denn immer mehr Menschen und auch Nationen können sonst die Regeln brechen, und wir erreichen womöglich einen Punkt ohne Wiederkehr.

Sie müssen wissen, dass das für die Menschen überall wichtig ist. Eine Nuklearwaffe, die in einer Stadt explodiert - ob das New York oder Moskau wäre, Islamabad oder Mumbai, Tokio oder Tel Aviv, Paris oder Prag -, ein solches Ereignis könnte Hunderttausende von Menschen das Leben kosten. Und unabhängig davon, wo so etwas passieren würde, wären die Konsequenzen unabsehbar für unsere globale Sicherheit, für die Gesellschaft, die Wirtschaft, für unser Überleben. (...) Wir traten im 20. Jahrhundert für die Freiheit ein. Jetzt müssen wir für das Recht aller Menschen eintreten, überall frei und ohne Furcht im 21. Jahrhundert zu leben!

Als einzige Atommacht, die diese Nuklearwaffe eingesetzt hat, haben die Vereinigten Staaten eine moralische Verpflichtung, hier zu handeln. (...) Ich möchte heute also ganz deutlich und mit Überzeugung Amerikas Bereitschaft erklären, den Frieden und die Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen anzustreben.

Ich bin nicht naiv. Das Ziel wird sich nicht rasch erreichen lassen. Vielleicht auch nicht in der Zeit meines Lebens. Es wird Geduld und Beharrlichkeit erfordern. Aber jetzt müssen wir die Stimmen jener ignorieren, die sagen, dass die Welt sich nicht ändern kann. Wir müssen darauf bestehen und sagen: Yes we can. (...)

Zunächst einmal werden die Vereinigten Staaten konkrete Schritte einleiten, um zu einer Welt ohne Atomwaffen zu gelangen. Das Denken des Kalten Krieges zu beenden, dafür brauchen wir eine Reduzierung der Rolle der Nuklearwaffen in unserer eigenen nationalen Sicherheitsstrategie. Andere mögen das gleiche tun.

Aber damit kein Missverständnis entsteht: Solange diese Waffen existieren, werden die USA ein sicheres und effektives Arsenal behalten, um jeden Gegner potenziell abzuschrecken und unseren Verbündeten (...) zu Hilfe kommen zu können. Aber wir werden die Arbeit an der Reduzierung unseres Arsenals und unserer Gefechtsköpfe einleiten. Und dafür werden wir in diesem Jahr einen neuen Vertrag zur Reduzierung strategischer Waffen mit Russland verhandeln. Präsident Medwedew und ich haben diesen Prozess in London eingeleitet und werden eine neue Vereinbarung bis zum Ende des Jahres anstreben, die rechtsverbindlich und mutig sein wird. (...)

Um ebenfalls ein globales Testverbot zu erreichen, wird meine Regierung sofort die Ratifizierung des Abkommens zum Teststopp einleiten. Nach über fünf Jahrzehnten der Gespräche ist es jetzt Zeit, dass die Tests von Nuklearwaffen endgültig verboten werden. Um auch die Bausteine einer möglichen Bombe zu blockieren, muss ein Mittel gefunden werden, das die Produktion spaltbaren Materials für den Einsatz in Nuklearwaffen verhindert. Das ist der erste Schritt.

Und zweitens müssen wir gemeinsam den Vertrag zur Nichtverbreitung von Nuklearwaffen als Basis der Kooperation stärken. Das Angebot lautet: Länder mit Nuklearwaffen rüsten ab, Länder ohne Atomwaffen streben nicht nach ihnen, und alle Länder können Zugang zur friedlichen Nutzung von Atomenergie bekommen.

Um den Vertrag zu stärken, brauchen wir mehr Ressourcen, mehr Autorität für internationale Inspektionen. Unmittelbare Konsequenzen muss es für Länder geben, die die Regeln ignorieren oder die versuchen, die Grundlagen des Vertrags zu verlassen.

Und wir brauchen einen neuen Rahmen für die zivile nukleare Kooperation. Eine internationale Bank vertreibt Material, zu dem Länder für die friedliche Nutzung Zugang haben, ohne dass es das Risiko der Weiterverbreitung gibt. Das muss für jede Nation gelten, die auf Nuklearwaffen verzichtet. Vor allem auch für Entwicklungsländer, die die Energie nutzen möchten. (...)

Bei unserem Vorgehen machen wir uns aber keine Illusionen: Einige Länder werden die Regeln missachten. Und deshalb brauchen wir eine Struktur, die sicherstellt, dass eine Missachtung für das entsprechende Land Konsequenzen haben wird.

Gerade heute Morgen wurden wir noch einmal daran erinnert, warum wir einen neuen, energischeren, konsequenteren Ansatz gegen diese Bedrohung brauchen. Nordkorea hat mit dem Test einer Rakete, die für eine Langstreckenwaffe einsatzfähig wäre, erneut Regeln missachtet. Diese Provokation unterstreicht die Notwendigkeit der Maßnahmen. (...) Regeln müssen eingehalten und ihre Verletzungen bestraft werden. (...)

Der Iran kann eine Nuklearwaffe bauen. Wir wollen mit dem Iran auf der Grundlage gegenseitigen Respekts sprechen. Wir glauben an den Dialog! Aber in diesem Dialog werden wir auch eine ganz klare Entscheidung vortragen. Wir wollen, dass Iran den ihm gebührenden Platz in der Völkergemeinschaft einnimmt, politisch wie wirtschaftlich. Wir werden Irans Recht auf die friedliche Nutzung der Atomenergie unterstützen. Das ist eine Möglichkeit für das Volk und die Regierung des Iran. Die andere Möglichkeit wäre eine stärkere Isolation, mehr internationaler Druck und ein potenzielles Wettrüsten in der Region mit Atomwaffen als Sicherheitsbedrohung für uns alle. (...)

Wir brauchen eine Verteidigung gegen solche Waffen. Und solange es die Bedrohung durch den Iran und andere gibt, werden wir auch Raketenabwehrsysteme brauchen. Wenn die Bedrohung im Iran eliminiert werden kann, dann haben wir eine stärkere Grundlage für die Sicherheit. Und: Ein Hauptgrund für eine Raketenabwehr in Europa wird nicht mehr bestehen.

Wir müssen sicherstellen, dass Terroristen nie in den Besitz einer Nuklearwaffe kommen. (...) Al-Qaida hat bereits gesagt, dass sie eine solche Waffe anstrebt. Und sie hätten kein Problem damit, eine solche Waffen einzusetzen. Wir wissen auch, dass es ungesichertes, waffenfähiges Material auf der ganzen Welt gibt.

Um unsere Menschen, unsere Völker zu schützen, müssen wir entschlossen und unverzüglich handeln. Deswegen möchte ich heute eine internationale Anstrengung ankündigen, alles spaltbare Material auf der Welt innerhalb von vier Jahren zu sichern, neue Standards und Normen zu schaffen und eine stärkere Kooperation mit Russland einzuleiten, um alle Möglichkeiten zu verfolgen, dieses Material unter Kontrolle zu bekommen. (...)

Solange diese Bedrohung weiter besteht, wird es keine Sicherheit auf der Welt geben (...). Wir brauchen auch einen globalen Gipfel zur nuklearen Sicherheit, der im Laufe eines Jahres in den USA stattfinden wird. Ich weiß, dass einige es infrage stellen, ob wir eine so breit angelegte Agenda wirklich verfolgen können. (...) Aber wir wissen, wohin der Weg führt, wenn wir der Furcht die Oberhand über die Hoffnung gewähren. (...) Ich weiß, dass der Aufruf zu Waffen die Seelen der Menschen mehr in Aufruhr versetzt als ein Aufruf, gegen diese Waffen vorzugehen. Deswegen müssen wir umso energischer dazu aufrufen und uns gemeinsam dafür einsetzen.

Das sind die Stimmen, die wir immer noch auf den Straßen Prags hören. Das sind die Klänge der samtenen Revolution. Das sind die Stimmen, die es geschafft haben, eine Atommacht zu Fall zu bringen, ohne dass ein Schuss abgegeben wurde.

Das geschah hier in Prag. Und hier in Prag müssen wir unsere Vergangenheit ehren, indem wir uns für eine bessere Zukunft einsetzen, unsere Einigkeit gewinnen, Differenzen überwinden, die gemeinsame Verantwortung akzeptieren, Frieden und Wohlstand zu schaffen, sodass die Welt dann besser ist, als wir sie vorgefunden haben. Zusammen können wir das schaffen!"