Versorgungsengpässe gibt es in Ost- und Mitteleuropa. In Deutschland warnt E.on Ruhrgas vor totalem Lieferausfall.

Hamburg/Moskau. Die Gaskrise zwischen Russland und der Ukraine hat Europa kalt erwischt. Nachdem der russische Monopolist Gazprom im Streit um höhere Preise die Lieferungen an den Nachbarn einstellte, ist in mehreren Ländern bei eisigen Temperaturen die Gasversorgung zusammengebrochen. Die Slowakei rief den Notstand aus. Nacheinander meldeten auch Bulgarien, Polen, Österreich, Deutschland, Slowenien, Italien und Frankreich einen Rückgang der Gaslieferung. Engpässe gab es zudem in Griechenland, Ungarn, Tschechien und der Türkei. Der größte deutsche Importeur E.on Ruhrgas warnte vor einem Totalausfall.

Die EU-Kommission erhöhte ihren Druck auf Moskau und Kiew, ihren Gasstreit zu lösen. "Die Kommission fordert eine sofortige und vollständige Wiederaufnahme der Gasversorgung in der Europäischen Union", sagte Günter Verheugen, Vizepräsident der EU-Kommission, dem Hamburger Abendblatt. Brüssel erwarte, dass die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine "zu einer schnellen und endgültigen Einigung, die den Gas-Streit ein für alle Mal lösen soll, führen werden", betonte er. "Wir werden die Situation weiterhin genau verfolgen."

Der tschechische Regierungschef und amtierende EU-Ratspräsident Mirek Topolanek kritisierte, andere Länder dürften in dem Gasstreit "nicht als Geiseln gehalten werden". Topolanek kündigte zudem an, er wolle zwischen den Konfliktparteien ein Gespräch vermitteln.

Dieser Schritt komme zu spät, sagte Martin Schulz, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, dem Abendblatt. "EU-Kommission und Rat hätten viel früher handeln und vermitteln müssen." Das Parlament habe seit Langem gewarnt, "es ist ja nicht das erste Mal, dass es Streit wegen der Gaslieferungen gibt".

Auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) forderte Gazprom und die Ukraine dringend dazu auf, ihren Streit beizulegen. Nach einem Treffen mit dem Gazprom-Vizechef Alexander Medwedew betonte Glos in Berlin, dass in Deutschland keine Engpässe drohten. So gebe es die Zusage von Gazprom, die Gaslieferungen über andere Leitungen außerhalb der Ukraine zu transportieren und somit Ausfälle aufzufangen.

Der neue Streit zwischen Russland und der Ukraine schwelt seit Neujahr. Neben Auseinandersetzungen um neue Verträge beschuldigt Gazprom die Ukraine, die Transitleitungen anzuzapfen, um Gas abzuzweigen. Gazprom drosselte deshalb die Lieferungen über die Ukraine um 65,3 Millionen Kubikmeter Gas. Medwedew warf der Ukraine vor, drei Pipelines nach Europa abgeschaltet zu haben. Dadurch fließe siebenmal weniger Gas Richtung Europa. Das ukrainische Unternehmen Naftogas teilte hingegen mit, Russland wolle die Durchleitung seines Gases nach Westeuropa komplett einstellen.

Medwedew bekräftigte, dass Gazprom jederzeit zu Verhandlungen bereit sei. Aber selbst in der Krise habe die Ukraine nicht den Wunsch, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. "Die Situation ist sehr ernst", sagte Medwedew. Besonders betroffen von der Eskalation des Streits sind Mittel- und Osteuropa. Bulgarien erwägt bereits eine Wiederinbetriebnahme des Atomreaktors von Kosloduj.

Deutschlands wichtigster Gas-Importeur E.on Ruhrgas sprach von massiven Einschränkungen bei der Versorgung. An der deutschen Grenzstation Waidhaus in Bayern, wo das Gas nach Deutschland gelangt, könne in Kürze die über die Ukraine transportierte Menge vollständig ausfallen. Ruhrgas-Chef Reutersberg sagte: "Auch unsere Möglichkeiten stoßen an ihre Grenzen, wenn diese drastischen Lieferkürzungen anhalten und die Temperaturen weiterhin auf sehr niedrigem Niveau bleiben." Die Branche sieht aber keinen Grund zur Panik. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) teilte mit, Deutschland verfüge mit seinen 46 Speichern über die höchste Erdgas- Speicherkapazität in Europa. Michael Bräuninger, Energieexperte des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts, sagte dem Abendblatt: "Ich habe keine Befürchtungen, dass es zu einer akuten Versorgungskrise kommt." Bei Bedarf könnten Norwegen oder Holland ihre Gaslieferungen nach Deutschland aufstocken. Zudem stammten 15 Prozent des benötigten Erdgases aus Deutschland selbst.