Streit um die rechtliche Legitimität eines US-Militärschlags spaltet die Fachwelt

Hamburg. "Der Sicherheitsrat hat sich seiner Verantwortung nicht gestellt, also werden wir uns der unsrigen stellen." Mit diesen Worten zeigt US-Präsident George Bush der UNO in der Irak-Frage die kalte Schulter. Den Alleingang seiner Koalition der Willigen sieht er gerechtfertigt: durch drei UNO-Resolutionen des vergangenen Jahrzehnts. Die erste Resolution (678), auf die er sich stützt, stammt aus dem Jahr 1990. Sie bildete die Grundlage für den ersten Golfkrieg und zielte auf den Abzug der irakischen Truppen aus Kuwait. Die zweite (687) erließ die UNO im April 1991. Sie forderte die Vernichtung von Massenvernichtungswaffen - und war auch die Grundlage für die UNO-Waffeninspektionen. Die Resolution 1441 ist die dritte. Sie existiert seit November 2002 und droht dem Irak "ernsthafte Konsequenzen" an für den Fall, dass er gegen die Abrüstungsvorschriften verstößt. "Wenn Bush jetzt gegen den Irak losschlägt, handelt er wider das Völkerrecht", sagt Völkerrechts-Professor August Pradetto von der Bundeswehr-Uni in Hamburg. Er ist der Meinung, dass die Resolutionen keineswegs ausreichend sind. Damit spricht Pradetto für die große Mehrheit seiner europäischen Kollegen. "Keine der drei Resolutionen kündigt ein militärisches Vorgehen an", so sein Einwand. Vielmehr impliziere die Resolution 1441 die Bedingung, dass der Sicherheitsrat noch einmal zusammentritt. Auch für Gerd Seidel, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrt, ist mit dem Ausdruck "schwer wiegende Konsequenzen" keinesfalls ein Militärschlag gemeint. Immerhin hätten die Veto-Mächte Frankreich und Russland sich bereits bei der Verabschiedung der Resolution 1441 vehement dagegen gestemmt, dass diese eine automatische Gewaltanwendung enthalte. Außerdem habe Saddam Hussein - "wenn auch zähneknirschend" - in letzter Zeit durchaus mit den Waffeninspektoren kooperiert. Dies alles hat nach Ansicht der Experten auch Auswirkungen auf die Gewährung von Überflugrechten für die USA. "Deutschland wäre aus völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Sicht verpflichtet, solche Überflug- und Zwischenlanderechte für die USA und Großbritannien nicht zu gewähren", sagt Seidel. Und auch für Pradetto ist klar: Sollte die Bundesregierung sich nicht verweigern, verstößt sie gegen Artikel 26 des Grundgesetzes. Der verbietet die Vorbereitung eines Aggressionskriegs bei Strafe. Der Streit um die völkerrechtliche Legitimität eines US-Militärschlags spaltet die Fachwelt. Im angelsächsischen Raum zumindest stützen viele Völkerrechtler die Ansicht des US-Präsidenten. Sie berufen sich darauf, dass das US-Militär bereits früher ohne Zustimmung des Sicherheitsrates zum Einsatz kam. Allerdings müssen sie zugeben, dass sich die UNO in keinem der Fälle ausdrücklich gegen ein militärisches Vorgehen ausgesprochen hatte. Völkerrechtler befürchten nun, dass der US-Angriff zum Präzedenzfall wird. Denn: Im vergangenen Jahr hatte der US-Kongress eine Doktrin verkündet, nach der feindlichen Staaten die Waffen aus der Hand geschlagen werden, bevor sie die USA angreifen können. Sollten sich in Zukunft auch andere Staaten auf das Verhalten der Amerikaner berufen, wären die Folgen für Völkerrecht und Vereinte Nationen nicht absehbar.