Die Situation in Syrien spitzt sich zu: Die Uno redet jetzt von einem Bürgerkrieg. Beide Konfliktparteien werden vom Ausland mit Waffen versorgt.

Hamburg. Als erster Vertreter der Vereinten Nationen hat deren Blauhelm-Chef Herve Ladsous den eskalierenden Konflikt in Syrien als "Bürgerkrieg" bezeichnet. "Ja, ich denke, dass wir das so sagen können", sagte der Leiter der Uno-Friedenseinsätze in New York. In der vergangenen Woche hatte Uno-Generalsekretär Bang Ki-moon noch vorsichtig von "der Gefahr eines Bürgerkriegs" gesprochen.

Völkerrechtlich ist allerdings umstritten, ob in Syrien bereits ein veritabler Bürgerkrieg tobt. Zwar sieht die gängige Definition dafür einen "bewaffneten Konflikt innerhalb eines Staates" vor - und um einen solchen Konflikt handelt es sich zweifellos in Syrien. Doch sind bislang dort nur einzelne Regionen betroffen; die Gewalt betrifft bislang auch noch nicht umfassend die verschiedenen Bevölkerungsgruppen.

+++ Riskante Hilfe für die Rebellen +++

+++ UN-Friedenshüter spricht von Bürgerkrieg in Syrien +++

Ladsous argumentiert jedoch, die Regierung habe bereits große Landesteile und mehrere Städte an die Rebellen verloren. Auch Kieran Dwyer, Sprecher der Uno-Friedensmission, sagte dem arabischen Sender al-Dschasira: "Was wir in den letzten fünf Tagen gesehen haben, ist eine enorme Ausweitung der militärischen Konfrontation. Beide Seiten haben den Kampf intensiviert - mit einem hohen Preis für die Zivilbevölkerung."

Diese Eskalation ist offenbar nicht zuletzt auf massive Waffenlieferungen an beide Seiten zurückzuführen. Nach Angaben der US-Regierung beliefert Russland die Regimetruppen des Präsidenten Baschar al-Assad neuerdings mit Kampfhubschraubern und Ersatzteilen. US-Außenministerin Hillary Clinton sagte in Washington, man fürchte, dass diese Lieferung "den Konflikt ziemlich dramatisch eskalieren lassen wird". Clinton fügte hinzu: "Wir haben die Russen mit der Forderung konfrontiert, ihre Waffenlieferungen nach Syrien einzustellen. Sie haben ab und zu gesagt, dass wir uns keine Sorgen zu machen bräuchten - alles, was sie nach Syrien lieferten, habe nichts mit den internen Vorgängen dort zu tun. Und das ist offensichtlich unwahr."

+++ Syrische Soldaten benutzen Kinder als Schutzschilde +++

Auch der Iran steht im Verdacht, die Assad-Regierung in Damaskus mit Waffen und sogar Spezialeinheiten zu unterstützen. In der vergangenen Woche hatte sich Ismail Ghaani, der stellvertretende Kommandeur der berüchtigten Al-Kuds-Brigaden, die als Eliteeinheit der Revolutionsgarden Pasdaran gelten, offenbar versprochen, als er sagte: "Vor unserer Präsenz in Syrien wurden zu viele Menschen von der Opposition getötet." Aber dank der "physischen Präsenz" der Islamischen Republik Iran hätten weitere Massaker verhindert werden können.

Doch auch Assads Gegner werden aus dem Ausland offenbar aufgerüstet. Die angesehene britische Zeitung "The Independent" meldete gestern, Saudi-Arabien und das Golf-Emirat Katar hätten damit begonnen, die syrischen Rebellen zu bewaffnen. Nach Angaben eines westlichen Diplomaten in Ankara würden diese Waffen über die Türkei nach Syrien geschmuggelt - mit Hilfe des türkischen Geheimdienstes MIT. "Es kommen Waffen herein - mit Wissen der Türken", sagte der Diplomat. Die Türkei hat den Verdacht einer indirekten militärischen Unterstützung der Rebellen offiziell stets zurückgewiesen.

+++ Syrische Aktivisten berichten von neuen Angriffen +++

Ein Kämpfer der "Freien Syrischen Armee" sagte dem Londoner Blatt jedoch: "Die türkische Regierung hat uns zur Bewaffnung verholfen." Die Waffen seien über einen türkischen Hafen und von dort auf dem Landweg per Lkw bei ihnen angekommen. Der syrische Nationalrat, eine Dachorganisation der Rebellen, bestätigte diesen Sachverhalt. Bei den Waffen soll es sich unter anderem um Panzerabwehrraketen zur Ausschaltung der syrischen Kampfpanzer handeln, die Dörfer beschießen.

Der westliche Diplomat fügte hinzu, diese Waffen gingen ausschließlich an Rebellen, die mit der syrischen Muslimbruderschaft sympathisierten, der dominanten Kraft innerhalb des Nationalrats. Militante sunnitische Islamisten haben die syrische Opposition massiv unterwandert, sie sollen aus Saudi-Arabien und Katar mehrere Millionen Dollar Finanzhilfe erhalten - pro Monat. Es wird berichtet, viele der Rebellen trügen inzwischen buschige Backenbärte im Salafisten-Stil.

Bereits im Februar hatte der saudische Außenminister Prinz Saud al-Faisal auf einer Syrien-Konferenz in Tunesien eine Bewaffnung der Rebellen als "ausgezeichnete Idee" gelobt. "So ein Bürgerkrieg kommt nicht innerhalb von ein, zwei oder fünf Tagen", sagte Samir Nachar, Mitglied des Exekutivkomitees im Syrischen Nationalrat der Rebellen der "New York Times". "Aber man muss beachten, wie sich die Dinge am Boden schrittweise verändern. Kann man Menschen sagen: Verteidigt euch nicht? Das ist doch unmöglich."

Angesichts des ständig anschwellenden Stroms von Flüchtlingen über die türkische Grenze befürchtet Ankara, dass der Konflikt auch sein Staatsgebiet erreichen könnte. "Wir sind beunruhigt über die Möglichkeit, dass er sich auf uns ausbreiten könnte", zitierte der staatliche Rundfunksender TRT den stellvertretenden Außenminister Naci Koru. Die bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien "betreffen unsere Sicherheit". In den Lagern an der syrischen Grenze halten sich jetzt bereits 30 000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland auf. Anfang April hatten syrische Soldaten bis in türkisches Territorium hinein auf Flüchtlinge geschossen und dabei Menschen getötet. Zudem hat die syrische Armee Wälder an der Grenze in Brand gesetzt, um Syrern die Flucht in die Türkei zu erschweren.