Auch in Umfragen liegt der Herausforderer des französischen Präsidenten Sarkozy vor der Stichwahl am Sonntag in Frankreich klar vorn.

Hamburg. Der Präsident hatte den Befreiungsschlag gesucht, wollte seinen Gegner mit ungezügelter Angriffslust niederwerfen. Austragungsort des denkwürdigen Duells war das Fernsehstudio 107 im Departement Senne-Saint-Denis nordöstlich von Paris. Den Sozialisten François Hollande hatte der Sender sinnigerweise links platziert, den Konservativen Nicolas Sarkozy auf der rechten Seite eines Glastisches. Man hatte Sarkozy vorher gewarnt, seinen Herausforderer nicht zu unterschätzen. Doch allzu siegessicher, hätte "Sarko" am liebsten gleich drei Fernsehdebatten angesetzt. An Hollande klebt immerhin das alte Etikett "Flamby"; so nennt man einen bedenklich weichen Pudding in Frankreich. Was staunende 20 Millionen Franzosen dann erlebten, war eher eine Art verbaler Kampfsport als eine politische Debatte. Drei Stunden lang attackierten sich die beiden Kontrahenten gnadenlos; Sarkozy gelang dabei aber nicht, was er sich vorgenommen hatte - Hollande außer Fassung und "zur Explosion" zu bringen. Im Gegenteil: Immer öfter musste der Amtsinhaber zu Verbalinjurien greifen, nannte Hollande "kleiner Verleumder" und so oft einen Lügner, bis der Sozialist konterte: "Immer führen Sie das Wort Lügner im Mund - ist das vielleicht Ihr eigenes Problem? Sie sind einfach nicht in der Lage, eine Debatte zu führen, ohne unangenehm zu werden." Die enorme Abneigung zwischen den Kandidaten vergiftete die Atmosphäre.

Am Ende sah Hollande souveräner und überraschenderweise präsidialer aus als der Präsident. Sarkozy, der in jüngsten Umfragen mit rund 46 zu 54 Prozent zurückliegt, kann nur noch auf ein Wunder hoffen, wenn die Franzosen am Sonntag zur Stichwahl an die Urnen gehen. Er kann nur noch hoffen, dass die Anhänger der im ersten Wahlgang ausgeschiedenen rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen doch noch zu ihm überschwenken. Le Pen, die 18 Prozent holte, weigert sich, ihn zu unterstützen. Die Debatte hatte die Unterschiede sowohl in der Programmatik als auch in der Persönlichkeit der Kandidaten gut herauszustellen vermocht:

+++ Das Duell: "Alles oder nichts" gegen "Bloß keine Fehler" +++

Hier der hyperaktive, zur Sprunghaftigkeit und Hitzigkeit neigende Gaullist Sarkozy, dort der bedächtige Hollande, äußerlich Typ Sparkassendirektor. Vor fünf Jahren hatte Sarkozy noch mit der sozialistischen Spitzenkandidatin Ségolène Royal debattiert. Sie hatte gerade vorher die Trennung von ihrem langjährigen Lebensgefährten Hollande bekannt gegeben, mit dem sie vier Kinder hat. So sehr hatte sie ihn lange überstrahlt, dass Hollande "Monsieur Royal" gerufen wurde. Zum Zeitpunkt der Trennung hatte er längst ein Verhältnis mit seiner jetzigen Partnerin, der Fernsehjournalistin Valérie Trierweiler. In seiner politischen Karriere war der Sozialist Abgeordneter der französischen Nationalversammlung und Mitglied des Europäischen Parlaments, davor Bürgermeister und Gemeinderat auf dem Lande.

Er hat versprochen, ein "normaler" Präsident werden zu wollen - ein listiger Seitenhieb auf die umstrittene Persönlichkeit Sarkozys. Einig sind sich beide immerhin darin, den hoch verschuldeten Staatshaushalt Frankreichs wieder in Ordnung bringen zu wollen. Sarkozy will dies schon bis 2016 schaffen, Hollande hat 2017 angepeilt. Aber während der Amtsinhaber den "deutschen" Sparkurs zur Konsolidierung des Euro fortsetzen will, hat Hollande zum Unmut Angela Merkels angekündigt, den Fiskalpakt neu verhandeln zu wollen. Der Sozialist will lieber Schulden machen, um Wachstum zu erreichen. Zusätzliches Geld will er in die Kassen spülen, indem er Einkommen über eine Million Euro im Jahr mit 75 Prozent und solche über 150 000 Euro mit 45 Prozent besteuern lässt.

Managergehälter sollen maximal das 20-Fache des Durchschnittsgehaltes betragen dürfen. Und wer mit 18 angefangen hat zu arbeiten, soll mit 60 in Rente gehen können. Eine Finanztransaktionssteuer soll her, ein Verbot "toxischer" Bankprodukte und weitere Regelungen sollen den Finanzsektor ordnen. Auch Sarkozy will die Banken an die Leine nehmen, aber zur Schuldenbremse schlägt er ein Referendum vor.

Hollande will Euro-Bonds - was Sarkozy entrüstet ablehnt, da man nicht die Schulden anderer bezahlen wolle -, und er fordert, dass die Europäische Zentralbank Kredite nicht nur an Banken, sondern direkt an Staaten vergeben kann - als "Konjunkturplan". Zudem will Hollande Homo-Ehen und die Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare zulassen, Sarkozy ist strikt dagegen. Und während Hollande den Anteil der Atomenergie von derzeit 75 Prozent bis 2025 auf 50 Prozent senken will, befürwortet Sarkozy den Atomstrom weiter, strebt aber einen Anteil von bis zu 23 Prozent erneuerbarer Energien bis 2020 an.

Die stärksten Unterschiede gibt es sicherlich bezüglich Sarkozys Ausländerpolitik. Schon als Innenminister wollte er Problemviertel mit dem "Kärcher reinigen". Nun droht der Mann, dessen Vater aus ungarischem Adel stammt und dessen Mutter eine Nachfahrin griechischer Juden ist, mit der Aufkündigung des Schengen-Abkommens zur grenzenlosen Bewegungsfreiheit in Europa. Sarkozy will die Zahl der illegalen Einwanderer um die Hälfte senken und sie verstärkt deportieren. Der Besuch militant islamistischer Webseiten soll unter Strafe gestellt werden. Mit diesem Programm fischt Sarkozy in den Gewässern der Front National von Marine Le Pen. Ob ihm das am Sonntag hilft, ist fraglich. Hollande adressierte seinen Rivalen in der Debatte jedenfalls genüsslich als "scheidenden Präsidenten".