Die Banden haben bereits viele Staaten infiltriert. Gesamtumsatz der Kartelle beträgt eine halbe Billion Dollar. Polizei sucht Drogenboss “Dudus“.

Hamburg. Schwere Gefechte mit automatischen Waffen, Straßen voller Leichen, Ausnahmezustand - der Machtkampf zwischen Sicherheitskräften und Drogenbanden auf Jamaika hat einen bürgerkriegsähnlichen Charakter angenommen. Bei den jüngsten Kämpfen hat es nach Angaben von Rettungskräften mehr als 60 Tote gegeben, darunter viele Zivilisten. Die Armee hat mehr als 500 Verdächtige festgenommen und den am heftigsten umkämpften Stadtteil der Hauptstadt Kingston, Tivoli Gardens, vollständig abgeriegelt. Vizepolizeichef Glenmore Hinds sprach von einem "Krieg" gegen die Banden.

Doch trotz der Offensive blieb die Suche nach dem mutmaßlichen Drogenbaron Christopher "Dudus" Coke weiterhin erfolglos. Coke soll nach dem Willen der Regierung an die USA ausgeliefert werden. Das US-Justizministerium hält den 41-Jährigen für eine der weltweit gefährlichsten Führungsfiguren im Drogen- und Waffenhandel. Er soll zudem seit 1990 Chef der ultrabrutalen Gang "Shower Posse" sein, die in den 80er-Jahren Hunderte Menschen ermordet hatte und Marihuana sowie Crack nach New York liefert. In Jamaika gilt Coke jedoch als eine Art Robin Hood; seine Anhänger verteidigen ihn verbissen, haben Barrikaden aus sandgefüllten Kühlschränken errichtet.

Erbost dementierte Premierminister Bruce Golding Berichte des US-Senders ABC News als "bösartig", die ihn als kriminellen Komplizen von "Dudus" Coke bezeichneten. Auch der angesehene Londoner "Independent" schrieb, die Drogenbande werde von Golding bezahlt. Schulen in Kingston blieben geschlossen, die US-Botschaft ging auf Notbetrieb. Die Fluggesellschaft Air Jamaica sagte Flüge ab, die Behörden baten die Menschen um Blutspenden.

Jamaika ist aber nur ein Schauplatz im weltweiten Kampf zwischen Drogenhandel und staatlichen Kräften. Und wo die Fronten genau verlaufen, ist nicht immer klar, denn der Drogenkrake hat in vielen Ländern bereits Regierungen und Sicherheitskräfte infiltriert. Gerade in armen Staaten ist die Verlockung des Geldes zu groß - der Umsatz des globalen Drogengeschäfts von den Anbauländern in Asien und Südamerika bis zum Straßenverkauf wird inzwischen auf rund 500 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt. Die Gewinnspannen sind gewaltig: In der Herstellung kostet ein Gramm Kokain nur einen Dollar; auf amerikanischen Straßen bezahlt der Süchtige dafür aber das 80- bis150-Fache. Oft sind die Banden und Kartelle der Polizei technologisch und waffentechnisch ebenbürtig, wenn nicht weit überlegen. Umso erbitterter werden die Kämpfe.

Das blutigste Schlachtfeld im Drogenkrieg ist Mexiko. 20 000 Menschen sind in den vergangenen fünf Jahren durch Gefechte und Morde ums Leben gekommen. 45 000 Soldaten und Polizisten stehen rund 300 000 Angehörigen der Drogenmafia gegenüber, deren paramilitärische Einheiten mit modernsten Waffen ausgerüstet sind. US-Präsident Barack Obama hat die Nationalgarde an die Grenze geschickt und unterstützt Mexiko mit 1,6 Milliarden Dollar sowie Kampfhubschraubern.

Gestern meldete der US-Sender CNN, dass der berüchtigte Drogenbaron Pedro Roberto Velazquez Amador, genant La Pina, Chef des Beltran-Leyva-Kartells, in einem Feuergefecht mit Sicherheitskräften getötet worden sei. Der Bürgermeister der Touristenhochburg Cancun, Greg Sanchez, wurde zugleich wegen Geldwäsche und Unterstützung der Kartelle festgenommen.

Zunehmend infiltriert die Drogenmafia auch die Model-Szene. Zum einen ziehen sich steinreiche Bosse und schöne Frauen gegenseitig an, zum anderen werden die weltweit umherreisenden Models auch als Drogenkuriere missbraucht. Im Dezember 2008 wurde die amtierende Miss Mexiko, Laura Antonia Zuniga, zusammen mit sieben Drogenkriminellen, die ein riesiges Waffenarsenal angelegt hatten, festgenommen. Sie stand in den Diensten des Kartells.

Und gestern wurde nach monatelanger Jagd in Argentinien das frühere kolumbianische Top-Model Angela Sanclemente (30) festgenommen. Die Schönheitskönigin und Fernseh-Aktrice soll Chefin eines weltweit operierenden Drogenrings sein, der Models als Kuriere nutzt. Ihr Vorbild war das kolumbianische Supermodel Natalia Paris. Diese Schöne war mit dem Drogenhändler Julio Correa verheiratet. Als Correa sich 2001 bereit erklärte, mit der US-Drogenbehörde DEA zusammenzuarbeiten, drehte ihn die Mafia durch einen Fleischwolf.

Die Berliner Politikwissenschaftlerin und Lateinamerika-Expertin Professor Marianne Bragi zitierte in "heute.de" im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Drogenmafia im Raum zwischen Kolumbien und den USA das mexikanische Wort vom "Cucaracha-Effekt": "Hast du einen Ort von Kakerlaken befreit, erobern sie einfach drei andere." Durch das Zerschlagen der Großkartelle in Kolumbien seien die Kartelle in Mexiko entstanden. Und durch deren Zerschlagung bis zu 20 kleinere, die sich gegenseitig bekämpften. "Meine große Sorge ist, dass die Kartelle staatliche Strukturen dauerhaft zerstören", sagte Braig. Nach Schätzungen habe der Drogenhandel in Mittelamerika bereits 20 bis 60 Prozent Anteil an der Gesamtwirtschaft.