Brüssel. EU-Kommissionschefin mit Kampfansage an China. Was in ihrer Rede zur Lage der EU noch wichtig war, was sie nicht sagte.

Kampfansage an China wegen seiner Billig-Auto-Offensive, ein Versprechen an die Ukraine, beruhigende Worte an ihre Kritiker: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mit einer Marathon-Rede im EU-Parlament offenbar ihre inoffizielle Bewerbungsrede für eine zweite Amtszeit an der Spitze der Europäischen Union abgeliefert.

Lesen sie auch: Baerbock:„Man sagte mir: Wenn Sie bei 60 noch leben, können sie aufatmen“

Die jährliche Rede zur Lage der Union ist angelehnt an die traditionelle Rede des US-Präsidenten zur Lage der Nation – von der Leyen hielt sie das letzte Mal vor der Europawahl im Juni 2024. Beobachter erhofften sich deshalb einen Hinweis, ob sie eine Kandidatur für eine zweite Amtszeit an der Spitze der Kommission bis 2029 anstrebt.

Offenbar ja, auch wenn von der Leyen dazu konkret nichts sagte. Aber auffallend war: Sie ging auf ihre Kritiker zu, kündigte etwa Initiativen für einen Dialog mit der Wirtschaft und Landwirten an, zog eine Erfolgsbilanz. Und sie sagte: „Unsere Arbeit ist noch lange nicht getan – also lassen Sie uns weiter zusammenhalten.“ Was die 64-Jährige noch für Europa plant.

Gelbe Karte für Chinas E-Auto-Offensive:

Der große Paukenschlag der über einstündigen Rede: Die EU-Kommission leitet eine Untersuchung wegen der chinesischen Exportoffensive für seine staatlich subventionierten Elektroautos ein. Die Weltmärkte würden von billigeren chinesischen Elektroautos überschwemmt, sagte von der Leyen. „Der Preis dieser Autos wird durch riesige staatliche Subventionen künstlich gedrückt – das verzerrt unseren Markt.“

Die angekündigte Subventionsuntersuchung könnte dazu führen, dass die EU Strafzölle auf importierte E-Autos aus China erhebt. „Wir müssen uns gegen unfaire Praktiken wehren“, erklärte die Präsidentin. Das Vorhaben ist in der EU umstritten: Vor allem Frankreich hatte darauf gedrängt – die Bundesregierung ist vorsichtiger, sie fürchtet Gegenmaßnahmen Pekings, die vor allem der deutschen Autoindustrie im China-Geschäft schaden könnten. Von der Leyen betonte, es sei wichtig, mit Peking im Dialog zu bleiben: Man müsse Risiken minimieren, sich aber nicht von China abkoppeln.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, hält im Europäischen Parlament ihre Rede zur Lage der Europäischen Union.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, hält im Europäischen Parlament ihre Rede zur Lage der Europäischen Union. © dpa | Jean-Francois Badias

Weiter Schutz für Ukraine-Flüchtlinge

„Wir werden der Ukraine zur Seite stehen, so lange wie nötig“, versprach von der Leyen. Auffallend: Sie wandte sich erst zum Schluss der Marathon-Rede dem Krieg in Osteuropa zu und machte auch nur eine konkrete Ankündigung dazu: Die vorübergehende Schutzregelung für die Flüchtlinge aus der Ukraine, die ihnen ein Asylverfahren erspart und eine schnelle Integration ermöglicht, soll über den Februar 2024 hinaus verlängert werden.

Ob die Kommission vorschlagen wird, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine schon zu Jahresende zu eröffnen, wie es Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert, ließ von der Leyen dagegen offen. Sie warb nur allgemein für den EU-Beitritt der Ukraine, Moldawiens, Georgiens und der sechs Westbalkan-Staaten: Europa stehe vor der historischen Aufgabe, „unsere Union zu vollenden“.

Die EU müsse wieder „in großem Maßstab denken“, die Erweiterung werde das geopolitische Gewicht Europas stärken. Für die Neuaufnahmen müsse sich die Union vorbereiten, wenn nötig müssten die EU-Verträge geändert werden. „Das Team Europa funktioniert auch mit mehr als 30 Staaten“, sagte die Präsidentin. Von der Leyen weiß, dass die Bedenken groß sind: Ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker sagte am Mittwoch kurz vor der Rede, man dürfe der Ukraine „nicht das Blaue vom Himmel versprechen“. Die Verhandlungen würden sehr lange dauern, die EU sei auch noch gar nicht aufnahmebereit.

Keine Abstriche beim Klimaschutz

„Wir bleiben auf Kurs“, versprach von der Leyen zum Klimaschutz mit dem Green Deal, einem der Kernprojekte der Kommission. Zuletzt hatten Kritiker gewarnt, von der Leyen werde das Vorhaben jetzt auf Druck der Wirtschaft vernachlässigen. In einem „Paket für die Windkraft in Europa“ sollen die Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen „noch weiter beschleunigt werden“, kündigte die Präsidentin an.

Sie signalisierte, dass sie Bedenken der Industrie zumindest zur Kenntnis nimmt, bot einen „Energiewende-Dialog“ an. In Deutschland sagte die Präsidentin der Familienunternehmer, Marie-Christine Ostermann, mit Blick auf von der Leyens Rede: „Ein Generationenprojekt wie der Green Deal verfolgt zwar das richtige Ziel, ist aber von der Politik an der Wirklichkeit vorbei in Vorschriften gegossen worden. Das Ergebnis sind Bürokratiemonster, die niemand versteht und die Europa zurückwerfen.“

Europas Rolle in der Welt wird größer

Mit dem Versprechen einer „geopolitischen Kommission“ hatte von der Leyen bei Amtsantritt 2019 ihren Anspruch markiert. Gemeint: ein stärkeres EU-Gewicht auf der Weltbühne. Nun bilanzierte sie: „Wir haben die Geburt einer geopolitischen Union erlebt – die die Ukraine unterstützt, der Aggression Russlands standhält, auf ein selbstbewusst agierendes China reagiert und in Partnerschaften investiert.“

Entlastung für die Wirtschaft

Den europäischen Unternehmen wolle die EU die Arbeit erleichtern, versprach von der Leyen. Dazu soll unter anderem ein Beauftragter für kleine und mittlere Unternehmen ernannt werden. Im Oktober werde die Kommission einen Vorschlag vorlegen, wie die Meldepflichten der Unternehmen auf europäischer Ebene um 25 Prozent verringert werden könnten. Der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, soll in einem Bericht die wirtschaftlichen Chancen und Risiken der EU ausarbeiten. Kritiker auch im Parlament werfen der Kommission vor, mit immer neuen Vorschriften Wirtschaft und Bürger zu gängeln.

„Der Druck durch planwirtschaftliche Detailsteuerung steigt Tag für Tag“, sagte Parlamentsvizepräsidentin Nicola Beer (FDP). „Die aus von der Leyens Bürokratie-Ballast resultierenden Risiken und Nebenwirkungen wirken wie ein Narkosemittel auf unsere Unternehmen und sind eine existenzielle Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.“

Die EU-Asylreform soll zügig kommen

Die Zahl der Flüchtlinge nach Europa steigt – die EU-Asylbehörde rechnet mit über einer Million Asylbewerbern in diesem Jahr, dazu kommen 4 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine. Von der Leyen rief Parlament und Mitgliedstaaten dazu auf, das Paket für eine europäische Asylreform rasch zu beschließen. Sie verteidigte auch das Migrationsabkommen zwischen der EU und Tunesien, das die Flüchtlingswelle über das Mittelmeer begrenzen und Modell für Abkommen mit anderen nordafrikanischen Staaten sein soll. 785 Millionen Euro hat von der Leyen der Regierung in Tunis zugesagt. Aber: Bislang zeigt das Abkommen keine Wirkung, die Zahl der Migranten steigt.

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber nannte von der Leyens Rede eine „verpasste Chance“. Die Präsidentin habe nur „wolkige Ankündigungen, Recycling bekannter Vorschläge und wenig Neues“ geboten, sagte der Unions-Wirtschaftsexperte. Der Sprecher der deutschen Grünen, Rasmus Andresen, meinte: „Von der Leyen hat gemessen an den großen ökonomischen und sozialen Herausforderungen zu wenig konkrete Ideen geliefert.“