Moskau. Russland baut im Schwarzen Meer eine neue Drohkulisse auf – auch gegen zivile Frachter. Wie groß ist die Gefahr für deutsche Schiffe?

Die Drohung ist ernst: Seit Donnerstag betrachtet Russland zivile Handelsschiffe in bestimmten Seeregionen des Schwarzen Meeres als „Gegner“. Frachtschiffe, die ukrainische Häfen ansteuerten, würden als „potenzielle Träger militärischer Fracht“ eingestuft. Länder, unter deren Flagge Frachtschiffe auf dem Weg in ukrainische Häfen fahren, würden künftig als Konfliktparteien gewertet.

Würde etwa ein unter deutscher Flagge fahrendes Handelsschiff die Ukraine ansteuern, könnte Moskau Deutschland als Kriegspartei einstufen. Theoretisch. Praktisch wird keine Reederei der Welt mehr ihre Schiffe in Richtung Ukraine schicken und keine Versicherung der Welt würde derartige Transporte absichern. Die USA halten Angriffe auf zivile Schiffe im Schwarzen Meer für möglich. „Das russische Militär könnte seine Angriffe auf ukrainische Getreideanlagen ausweiten auf Angriffe auf zivile Schiffe“, so Adam Hodge, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA.

Lesen Sie auch: Steht Odessa still, hat die Welt ein Problem

Es gebe zudem Informationen, die darauf hindeuteten, „dass Russland zusätzliche Seeminen in den Zufahrten zu ukrainischen Häfen gelegt hat“. Kiew fordert inzwischen „internationale Uno-Patrouillen“ für die Getreideexporte. Eine unrealistische Forderung. Denn es ist kaum vorstellbar, dass etwa ein Nato-Kriegsschiff den Weg nach Odessa freikämpfen würde. Und das Problem mit den Minen würde bleiben.

podcast-image

Reeder sehen keine direkte Bedrohung für deutsche Schiffe

Bei den Reedern in Deutschland sieht man hingegen keine direkte Bedrohung für deutsche Schiffe. „Uns sind keine Fälle bekannt, in denen derzeit Schiffe deutscher Reedereien im Schwarzen Meer unterwegs beziehungsweise generell noch tätig sind“, sagte eine Sprecherin des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) unserer Redaktion. „Auch sind uns keine deutschen Reedereien bekannt, die im Rahmen des Getreideabkommens tätig waren.“ Es handele es sich vorwiegend um Schiffe chinesischer, türkischer und griechischer Reedereien.

Die aktuelle Lage in der Südukraine.
Die aktuelle Lage in der Südukraine. © dpa | dpa-infografik GmbH

Seit der russischen Invasion in der Ukraine sei das Schwarze Meer zum „Hochrisikogebiet geworden, aus welchem sich Reedereien nach unserer Kenntnis zurückgezogen haben“, fügte die VDR-Sprecherin hinzu. „Grundsätzlich ist eine Tätigkeit im Schwarzen Meer eine unternehmensinterne Entscheidung der einzelnen Reedereien, die nach Abwägung aller Risiken erfolgt.“ Hierbei spiele auch der Versicherungsschutz eine große Rolle. „Kriegsversicherungen sind extrem teuer. Daneben dürfte es auch sehr schwierig sein, für das Befahren von Kriegs- und Krisengebieten entsprechende Crews zu finden.“

Russland erwägt Rückkehr zu Deal – unter Bedingungen

UN-Generalsekretär Guterres sprach beim Getreide-Deal von einem „Leuchtfeuer der Hoffnung“, doch jetzt ist es vorerst zum Erliegen gekommen. Weltweit werden steigende Preise für Getreide und Lebensmittel insgesamt befürchtet. Insbesondere ärmere Länder in Afrika sind auf ukrainisches Getreide angewiesen. Neue Hungerkatastrophen drohen. In Tunesien zum Beispiel ist Mehl ist schon jetzt teuer geworden, viel zu teuer für viele Menschen. In anderen Ländern Afrikas ist die Lage noch verzweifelter.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte zuletzt, die Exporte auch ohne russische Zustimmung in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und der Türkei fortzusetzen. Die Vereinbarung war im Juli vergangenen Jahres unter Vermittlung der UN und der Türkei zustande gekommen. Durch das Abkommen konnte die Ukraine fast 33 Millionen Tonnen Getreide auf dem Seeweg ins Ausland exportieren. 2022 erzielte das Land dadurch acht Milliarden Euro an Einkommen.

Über das Schwarze Meer exportiertes Getreide.
Über das Schwarze Meer exportiertes Getreide. © dpa | dpa-infografik GmbH

Präsident Wladimir Putin schließt eine Wiederaufnahme der Vereinbarung nicht aus – allerdings nur unter russischen Bedingungen. Moskau sei vom Westen ursprünglich die Erfüllung mehrerer Forderungen zugesichert worden, so Putin bei einem Treffen mit Regierungsvertretern. „Sobald alle diese Bedingungen, auf die wir uns früher geeinigt haben, erfüllt sind, werden wir sofort zu diesem Abkommen zurückkehren.“ Putin weiter: „Ich möchte betonen, dass wir nicht gegen das Abkommen als solches sind, insbesondere angesichts seiner Bedeutung für den globalen Lebensmittelmarkt für viele Länder der Welt.“

Putin: „Sind in der Lage, ukrainisches Getreide zu ersetzen“

Bei diesen Bedingungen, die aus russischer Sicht unverzichtbarer Teil des Deals sind, gehe es um die Wiederaufnahme der Lieferungen von Ersatzteilen und Komponenten für Landmaschinen und die Düngemittelindustrie an Russland. Die Logistik der russischen Agrarindustrie dürfe nicht behindert werden, Vermögenswerte aus diesem Sektor müssten freigegeben werden.

Wichtigste Bedingung allerdings ist, dass die russische Landwirtschaftsbank wieder an das internationale Bankenabwicklungssystem Swift angeschlossen wird, über das russische Im- und Exporte von Agrarprodukten abgewickelt werden könnten. Viele russische Banken sind im Zuge der Sanktionen des Westens von Swift abgekoppelt worden. Aus Kreisen der Bundesregierung ist zu hören, dass man durchaus bereit gewesen wäre darüber zu reden. Kremlchef Putin aber sagt: „Wir brauchen diesbezüglich keine Versprechen und einige ‚Ideen‘, wir brauchen die Erfüllung dieser Bedingungen.“

Russland setzt nun den Vereinten Nationen eine Frist zur Wiederbelebung des Getreideabkommens. „Die Uno hat noch drei Monate Zeit, um konkrete Ergebnisse zu erzielen“, sagt Maria Sacharowa, die Sprecherin des Außenministeriums. „Wenn es konkrete Ergebnisse gibt, sind wir zu Verhandlungen über dieses Thema bereit.“ Russland sei auch in der Lage ukrainisches Getreide auf dem Weltmarkt zu ersetzen, so Putin. Zumal man in diesem Jahr mit einer Rekordernte rechne.

Ukraine wirft Russland gezielte Zerstörung von Getreide vor

Auf dem für Ende Juli geplanten Russland-Afrika-Gipfel würden Getreidelieferungen aus Russland an Afrika besprochen, so Kremlsprecher Dmitri Peskow. Er betonte, dass Moskau weiterhin bereit sei, Getreide auch nach Ende des Abkommens kostenlos an bedürftige Länder zu schicken. „Wir stehen in Kontakt mit unseren afrikanischen Partnern.“

Selenskyj beklagte unterdessen, Russland habe gezielt Standorte für ukrainische Getreideexporte angegriffen. So habe Moskau in der Nacht auf Mittwoch in der Region Odessa „absichtlich die Infrastruktur des Getreideabkommens ins Visier genommen“, erklärte er und forderte weitere Hilfe bei der Luftverteidigung. In den Häfen von Odessa und Tschornomorsk seien 60.000 Tonnen Getreide zerstört worden, meldete der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solsky. Russland äußerte sich zunächst nicht zu den Angriffen.