Berlin/Kiel. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident erklärt im Interview seine umstrittene Gesangseinlage – und macht Merz eine deutliche Ansage.

Schlagzeilen machte Daniel Günther zuletzt auf der Kieler Woche, als er ausgelassen den umstrittenen Bierzelt-Hit „Layla“ sang. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt der schleswig-holsteinische Ministerpräsident seinen Auftritt – und sagt, wie die Union den Höhenflug der AfD bremsen kann.

Die AfD liegt in Umfragen bei 19 Prozent – und hat jetzt im thüringischen Sonneberg erstmals eine Landratswahl gewonnen. Woher kommt der Zuspruch für eine Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt wird?

Daniel Günther: Die Umfragewerte der AfD zeigen auch Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen, die von der Ampelkoalition in Berlin getroffen werden – etwa beim Heizungsgesetz. Da haben sich viele allein gelassen gefühlt mit möglichen Investitionen, die auf sie zukommen. Auch der andauernde Streit und die Vorwürfe innerhalb der Bundesregierung in den vergangenen Monaten haben das Vertrauen in das Regierungshandeln sicher nicht gestärkt. Aber wir als Union müssen uns auch hinterfragen, warum wir von den Verlusten der Ampelparteien nicht stärker profitieren.

Ihr Parteichef Friedrich Merz macht die Gender-Sprache mitverantwortlich für den Aufschwung der AfD.

Günther: Ich glaube, man sollte sich auf die Dinge fokussieren, die die Menschen derzeit massiv in ihrer Lebensgestaltung umtreiben. Bei allem Respekt für Gender-Diskussionen: Entscheidender ist doch, dass Menschen sich überfordert und nicht mitgenommen fühlen von politischen Entscheidungen wie denen zur Wärmeversorgung. Wir als größte Oppositionspartei müssen den Leuten besser erklären, was unsere konkreten Alternativen dazu sind. Und damit enttäuschte Wählerinnen und Wähler für die Union gewinnen, die sich von der Regierung abwenden.

Warum gelingt der Union das bisher nicht?

Günther: Wir werden derzeit nicht als ausreichend bessere Alternative zur Ampel wahrgenommen. Es reicht nicht, überwiegend nur die Politik der Bundesregierung zu kritisieren. Die Leute haben einen anderen Anspruch an uns als staatstragende Partei. Sie erwarten Vorschläge, wie die CDU die Dinge in den Griff bekommen will. Die richtigen Konzepte dafür haben wir ja auch, aber wir dringen noch nicht ausreichend damit durch.

Also Profil schärfen.

Günther: Es geht darum, Unterschiede deutlich zu machen und unsere Politik zu erklären. Aber in einer Sprache, die den politischen Gegner nicht herabwürdigt. Wir sollten uns in der Sache auseinandersetzen und Dinge nicht unnötig skandalisieren.

Worauf spielen Sie an?

Günther: Es hilft uns nicht, wenn wir Fehler beim Heizungsgesetz dazu nutzen, die Grünen oder ein ganzes Ministerium zu diskreditieren. Wir sollten in der Sprache sauber sein und erklären, was wir anders machen würden.

Was bedeutet das für die Asylpolitik? Was sagen Sie den Kommunen, die nicht noch mehr Flüchtlinge verkraften?

Günther: Wir müssen ehrlich aussprechen, dass es Grenzen der Belastung gibt. In einigen Kommunen sind sie erreicht, in manchen sogar überschritten. Wir als Länder tun schon alles, um den Kommunen so gut es geht zu helfen. Aber es bedarf auch mehr Anstrengungen vom Bund. Der Asylkompromiss auf europäischer Ebene sieht Maßnahmen zur Steuerung und Begrenzung vor, die ich unterstütze, bei denen man aber auch das weitere Verfahren abwarten muss.

Unterstützen Sie Asylverfahren an den Außengrenzen, Minderjährige eingeschlossen?

Günther: Die Verabredungen der europäischen Innenministerinnen und Innenminister – auch zu den Grenzverfahren – halte ich für richtig. Sie betreffen nur jenen Personenkreis, bei dem absehbar ist, dass keine Bleibeperspektive besteht. Entscheidender ist allerdings, dass Rückführungen auch funktionieren, um nicht die Staaten an den Außengrenzen zu überlasten.

Schiebt Deutschland abgelehnte Asylbewerber konsequent genug ab?

Günther: Abschiebungen sind sehr kompliziert in Deutschland, daran müssen wir arbeiten. Vor allem brauchen wir aber auch Länder, in die überhaupt zurückgeführt werden kann. Dazu bedarf es entsprechender Abkommen mit Drittstaaten. Hier ist der Bund und insbesondere der neu eingerichtete Sonderbevollmächtigte gefordert.

Was ist Ihnen in der Asyl- und Einwanderungspolitik wichtiger: Abgrenzung von der Ampel oder von der AfD?

Günther: Die Union ist klug beraten, wenn sie die Linie vertritt, die ich eben skizziert habe – und das sprachlich vernünftig begründet.

Die Union hat im Bundestag gegen die Reform der Fachkräftezuwanderung gestimmt und sperrt sich gegen einen erleichterten Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft. Ist das klug?

Günther: Fachkräftezuwanderung und Staatsbürgerschaftsrecht sind nicht die richtigen Themen, um sich von der Ampel abzugrenzen. Die Wirtschaft und auch uns als Politik treibt die steigende Fach- und Arbeitskräftelücke um. Natürlich müssen wir die Potenziale, die wir im Land haben, besser nutzen. Das wird aber nicht reichen.

Wir müssen auch die Hürden für ausländische Fach- und Arbeitskräfte absenken. Und ich finde es richtig, dass am Ende einer gelungenen Integration durchaus auch schneller als bisher die Einbürgerung stehen kann. Bei diesen Themen sollte die Union eher offensiv-positiv dabei sein.

Wenn die CDU verhindern will, dass die AfD regiert – kann sie jegliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausschließen?

Günther: Ich habe diese Frage schon früher beantwortet …

… und sich für eine Zusammenarbeit mit der Linken geöffnet.

Günther: Ich habe mich nie für Koalitionen mit der Linkspartei ausgesprochen. Ich bin allerdings der Meinung, dass die CDU aus staatspolitischer Verantwortung dafür sorgen muss, dass ein Land handlungsfähig bleibt. Oberstes Ziel ist aber immer, demokratische Mehrheiten in den Parlamenten zu bekommen.

Was bedeutet das für den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, der eine Zusammenarbeit mit AfD und Linkspartei gleichermaßen untersagt?

Günther: Der Unvereinbarkeitsbeschluss gilt. Eine Koalition wird es auch mit der Linkspartei nicht geben. Wenn Wahlergebnisse schwierig sind, müssen andere Wege gefunden werden.

Sie sprechen von Tolerierung.

Günther: Ich sage, dass wir uns gut vorbereiten müssen. Im kommenden Jahr sind drei Landtagswahlen im Osten.

Im Jahr darauf ist Bundestagswahl. Ist Friedrich Merz der natürliche Kanzlerkandidat der Union?

Günther: Wir werden die Frage der Kanzlerkandidatur im Spätsommer 2024 beantworten.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst hat eigene Ambitionen auf das Kanzleramt erkennen lassen. Wie finden Sie das?

Günther: Hendrik Wüst ist erfolgreicher Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und einer der wichtigsten Köpfe, die wir in der Union haben. Er hat einen sehr klugen Zeitungsbeitrag über den Kurs der Union verfasst, wie wir die breite Volkspartei bleiben, die wir bisher sind.

Merz hat sich darüber geärgert.

Günther: In dem Beitrag steht viel Kluges drin. Die Stärke der CDU liegt auch darin, dass wir starke Köpfe haben, die sich in Debatten einbringen. Das sieht auch Friedrich Merz so.

Wie sehen Ihre eigenen Ambitionen aus? Der „Spiegel“ deutete Ihren vielbeachteten Auftritt auf der Kieler Woche – Sie haben ausgelassen den Bierzelt-Hit „Layla“ gesungen – als Bewerbung für die Kanzlerkandidatur.

Günther: Das ist eine originelle Deutung.

Haben Sie kein Interesse, Olaf Scholz als Bundeskanzler herauszufordern?

Günther: Mir macht die Arbeit in Schleswig-Holstein unglaublich viel Freude. Wir haben mit 43,4 Prozent ein herausragendes Ergebnis geholt, dem ich mich auch verpflichtet fühle. Wir sind gerade ins zweite Jahr der zweiten Wahlperiode gestartet und ich möchte gerne weiter erfolgreicher Ministerpräsident dieser schwarz-grünen Koalition bleiben. Über nichts anderes denke ich nach.

Ihr Platz ist also aktuell in Kiel?

Günther: (lacht) Das ist nicht nur aktuell so.

Verraten Sie uns, was Sie zu dem Auftritt im Bayernzelt der Kieler Woche bewogen hat? Es kommt nicht so oft vor, dass ein Ministerpräsident singt: „Ich hab n’ Puff. Und meine Puffmama heißt Layla. Sie ist schöner, jünger, geiler.“

Günther: In dem Zelt war richtig Partyatmosphäre. Und als die Band mich gebeten hat, auf die Bühne zu kommen und mit ihnen zu singen, habe ich das wirklich gerne gemacht.

„Layla“ ist nicht irgendein Lied, viele empfinden es als sexistisch.

Günther: Wir haben auch andere Lieder gesungen.

Sie waren bei ‚Layla‘ erstaunlich textsicher.

Günther: Der Text ist nicht allzu kompliziert. Es war ein fröhlicher Abend, eine tolle Band und viele Menschen, die einfach nur Spaß gehabt haben.