Kiew. Um die Moral der Ukrainer zu brechen, setzt Russland auf Facebook – mit perfiden Geschichten über Pizzaboten.

Nachdem die langerwartete Gegenoffensive begonnen hat, wird den Ukrainern auf Facebook täglich angezeigt, wie hoch die Verluste ihrer Streitkräfte angeblich sind. Es soll der Eindruck erweckt werden, als sei der laufende Angriff hoffnungslos. Gleich mehrfach wurden der sehr populäre Befehlshaber Walerij Saluschnyj und der Chef des Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, für tot erklärt. Auch das russische Narrativ, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj im Clinch mit Saluschnyj liege, wird verbreitet – und nicht zuletzt die These, dass die westliche Militärhilfe für Kiew kurz vor dem Aus stünde.

Schon seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 haben die Russen versucht, mit Desinformation in den sozialen Medien Verunsicherung unter der ukrainischen Bevölkerung zu säen. Russlandfreundliche Blogger, Journalisten und Medien gab es im Land seit der Krim-Annexion im Jahr 2014 zwar ohnehin kaum noch, der Überfall der russischen Armee machte jedoch selbst aus den meisten als prorussisch geltenden öffentlichen Personen Patrioten der Ukraine, die sich recht radikal über Moskau äußern.

Auf Facebook machen auch vermeintliche Horrornachrichten über massenhaft gefallene ukrainische Soldaten die Runde.
Auf Facebook machen auch vermeintliche Horrornachrichten über massenhaft gefallene ukrainische Soldaten die Runde. © imago/Ukrinform | imago stock

In einigen Fällen ist dieser Sinneswandel durchaus echt: Zu groß waren die enttäuschte Hoffnung und die Illusionen über den Kreml. Bei anderen dürfte pragmatisches Kalkül dahinter stecken: Seit Beginn des Krieges ist in der ukrainischen Gesellschaft weder für prorussische Politik noch für russlandfreundlichen Journalismus Platz. Auch deshalb versucht Moskau nun, kreativere Lösungen zu finden, um die Sicht auf den Krieg zu beeinflussen. Ein Ziel sind diverse Messenger – wie etwa Telegram oder Viber, die verstärkt für die Verbreitung von Falschinformationen benutzt werden.

Facebook ist das erste Ziel russischer Desinformation

In erster Linie setzt Russland aber auf eine andere Plattform: Facebook. Unter Ukrainerinnen und Ukrainern ist das soziale Netzwerk die beliebteste Plattform für Diskussionen, seit Jahren werden hier heftigste politische Debatten geführt. Russland versucht inzwischen offenbar, über personalisierte und bezahlte Anzeigen systematisch Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Das Ironische: Meta, der Mutter-Konzern hinter Facebook, wird in Russland selbst als extremistische Organisation eingestuft.

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In dem Netzwerk kursieren etwa Schreckgeschichten von Mitarbeitern aus Einberufungsämtern, die sich angeblich als Pizzaboten verkleiden und Vorladungen fürs ukrainische Militär verteilen. Der gesamte Tenor der Anzeigen ist darauf ausgelegt, eine pessimistische Grundstimmung zu schaffen – offenbar mit dem Ziel, dass mehr Ukrainerinnen und Ukrainer von ihrer Regierung Friedensverhandlungen mit Moskau fordern. Doch es gibt einen Weg, die bezahlten Posts zu enttarnen: Zwar werden sie fast ausschließlich auf Ukrainisch verfasst, doch auch wenn automatische Sprachprogramme insgesamt hervorragend aus dem Russischen ins Ukrainische übersetzen, es bleiben kleinere, für Muttersprachler sofort sichtbare Fehler – und die User quittieren das mit Häme.

Der Twitter-Screenshot zeigt angeblich, wie zwei ukrainische Soldaten einen Mann mit Gewalt zwangsrekrutieren.
Der Twitter-Screenshot zeigt angeblich, wie zwei ukrainische Soldaten einen Mann mit Gewalt zwangsrekrutieren. © Twitter | unbekannt

Trotzdem bleibt die Frage, wie es Russland überhaupt gelingt, so viele bezahlte Anzeigen gezielt für das ukrainische Publikum zu schalten? Immerhin arbeitet Facebook nicht nur seit Jahren mit einem Team von Fact-Checkern, die Desinformation als solche kennzeichnen. Auch das Inserieren direkt aus Russland ist sowohl wegen der Sanktionen als auch der Einstufung von Meta als extremistisch quasi unmöglich.

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Medienexperten raten von wütenden Kommentaren ab

In der Regel wird bezahlte Werbung auf Facebook und Instagram dafür genutzt, um die Sichtbarkeit einer Seite zu erhöhen. Russland geht es aber offenbar lediglich darum, dass so viele Menschen wie möglich eine bestimmte Botschaft sehen. Die Seiten, von denen die Anzeigen freigeschaltet werden, tragen völlig willkürliche Namen, ein Profilbild ist eine Seltenheit. Läuft eine Anzeige aus, wird die Seite sofort gelöscht. Letzteres ist deshalb wichtig, weil mit der Löschung alle Spuren im Archiv von Meta verschwinden. Damit ist es unmöglich, herauszufinden, wer genau der Geldgeber einer Kampagne war.

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Immer wieder sorgen diese Anzeigen jedoch für Hunderte Kommentare und Reaktionen von empörten Ukrainerinnen und Ukrainern, die darauf hinweisen, dass es sich dabei um psychologische Kriegsführung und Propaganda handelt. Obwohl das mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch stimmt, raten ukrainische Medienexperten einstimmig davor ab, auf Posts solcher Art zu reagieren – zusätzliche Kommentare würden nur deren Reichweite erhöhen. Stattdessen sollen die Seiten lieber kommentarlos gemeldet werden.

Auch wenn die Russen ein simples, aber effektives Mittel für die Verbreitung von Desinformation gefunden haben, ist ihre Strategie weggeworfenes Geld. Laut einer Anfang Juni vom Kiewer Institut für Internationale Soziologie durchgeführten Umfrage lehnen 84 Prozent der befragten Ukrainerinnen und Ukrainer jegliche territorialen Kompromisse mit Russland ab – und das Meinungsbild schwankt nicht. Seit Mai 2022 lag das Ergebnis stets zwischen 82 und maximal 87 Prozent. Trotz der Geschichten von verkleideten Pizzaboten.

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