Tiflis. Georgien schwankt zwischen der Nähe zu Russland und dem Streben in die Europäische Union – der Krieg löst bei vielen alte Ängste aus.

Es ist, als sei Georgien bereits in der EU. Europa-Tag in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Überall auf dem Ausstellungsgelände wehen EU-Fahnen, die Stände mit kulinarischen Spezialitäten aus den EU-Mitgliedsländern sind umlagert. Die Botschafter der in Tiflis vertretenen EU-Staaten stellen sich im Gruppenfoto der örtlichen Presse. „Frieden, Stabilität und Wohlstand“ verspricht EU-Botschafter Pawel Herczynski. „Georgien gehört zu Europa und Europa wäre nicht vollständig ohne Georgien.“

Warme Worte. Auf Nachfrage unserer Redaktion, wann denn mit dem EU-Beitritt konkret zu rechnen sei, sagt der Botschafter knapp: „Sie sollten mit ihrem Kanzler sprechen, denn das wird von 27 EU-Mitgliedern entschieden.“ In Wahrheit rechnet niemand mit einen EU-Beitritt Georgiens in absehbarer Zeit. Viele Hausaufgaben muss das Land zuvor noch erledigen.

Justiz- und Verwaltungsreform, Bekämpfung von Korruption und illegaler Machenschaften und – vor allem – die Ent-Oligarchisierung, welche die georgische Regierungspartei „Georgischer Traum“ allenfalls halbherzig betreibt. Denn gegründet wurde sie von einem Oligarchen: Bidzina Ivanishvili, der seine Milliarden in Russland verdient hat – und noch heute der Strippenzieher im Hintergrund der Partei ist.

Georgien: Hoffnung auf Freiheit, Arbeit und bessere Bildung in der EU

Laut Umfragen will zwar die Mehrheit der Bevölkerung in Richtung Europa. Doch die meisten Menschen hätten völlig falsche Vorstellungen von der EU, erhofften sich einfach nur ein besseres Leben, sagt der Soziologe Iago Kachkachschishvili unserer Redaktion. Die Armut im Land sei eine wichtige Triebfeder. „Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei rund 13 Prozent.“ Doch es würden nur diejenigen gezählt, die sich tatsächlich arbeitslos melden. „In Wirklichkeit liegt die Arbeitslosenquote bei 35 bis 37 Prozent.“

Eine georgische Oppositionsaktivistin nimmt in Tiflis an einer Demonstration gegen die Wiederaufnahme der Flugverbindungen mit Russland teil.
Eine georgische Oppositionsaktivistin nimmt in Tiflis an einer Demonstration gegen die Wiederaufnahme der Flugverbindungen mit Russland teil. © dp | Shakh Aivazov

Fragt man in Sachen EU-Betritt genauer nach, ergibt sich ein differenziertes Bild. Mzia Chachava zum Beispiel ist Rentnerin. Sie will so schnell wie möglich in die EU. „Dort ist das Leben freier und friedlicher. Die Rente in Europa ist viel höher. Auch das Gesundheitssystem ist deutlich besser.“ Luka Razmadze ist 22 Jahre alt, studiert Wirtschaftswissenschaft. Er warnt vor einem EU-Beitritt. „Unsere Wirtschaft ist dafür nicht bereit. Damit der Übergang von unserer Währung zum Euro reibungslos verläuft, sollte unsere Wirtschaft unabhängiger und stärker sein.“

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Und Nino Sioridze (20) meint, die EU biete „eine bessere Lebensqualität, eine starke Wirtschaft, ein besseres Bildungssystem und den Schutz der Menschenrechte.“ Dennoch hat er Angst, dass es Georgien ähnlich wie der Ukraine ergehen könnte. „In einem an Russland grenzenden Land zu leben bedeutet, in ständiger Angst vor Krieg zu leben“, sagt er. Zu frisch ist noch die Erinnerung an den Südkaukasus-Krieg von 2008. Russland unterstützte die abtrünnigen, international nicht anerkannten Regionen Südossetien und Abchasien, russische Soldaten kämpften gegen georgische Truppen. Russland gewann. Seitdem gibt es einen brüchigen Frieden, überwacht von EU-Beobachtern.

Georgier dürfen ohne Visa nach Russland reisen

Georgien in der EU? Russland möchte das verhindern. Doch diesmal schickt Kremlchef Wladimir Putin keine Soldaten, sondern Touristen. Erstmals seit 2019 erlaubt Russland wieder Direktflüge nach Georgien. Die Billig-Airline Azimuth fliegt nunmehr täglich in die georgische Hauptstadt. Auch die georgische Fluggesellschaft „Georgien Airways“ will Nonstop-Flüge anbieten.

Eine Maschine der Azimuth Airline landet in Tiflis. Es ist der erste Direktflug aus Moskau seit 2019.
Eine Maschine der Azimuth Airline landet in Tiflis. Es ist der erste Direktflug aus Moskau seit 2019. © AFP | VANO SHLAMOV

Azimuth sei nicht mit Sanktionen belegt und könne deshalb die Südkaukasusrepublik ansteuern, so die georgische Luftfahrtbehörde. Zwar beteiligt sich Georgien insgesamt nicht an Sanktionen des Westens gegen Russland. Allerdings reagiert die Behörde in Tiflis auf Drohungen des Westens, Georgien selbst mit Sanktionen zu belegen, wenn dort von den internationalen Strafmaßnahmen betroffene russische Gesellschaften landen dürften. Georgier dürfen nunmehr auch visafrei nach Russland einreisen, etwa als Gastarbeiter. In Russland leben Hunderttausende Georgier, die nun leichter von ihren Verwandten besucht werden können. Viele Georgier nahmen die Entscheidung mit Erleichterung auf.

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Russen flohen nach Georgien – nun steigen die Preise

Georgiens prowestliche Präsidentin Salome Surabischwili dagegen hat Putins Schritt als „Provokation“ bezeichnet. Sie warnt immer wieder vor Versuchen Russlands, seinen Einfluss in der früheren Sowjetrepublik auszuweiten. Die Regierung „Georgischer Traum“ hingegen sieht das anders. Direkte Flugverbindungen könnten dem bettelarmen Land zusätzliche Einnahmen in Höhe von 300 bis 400 Millionen Dollar bringen, sagt der georgische Wirtschaftsminister Lewan Dawitaschwili. Denn russische Touristen lieben das Land, seine Strände, die Wein- und Gebirgsregionen und die kaukasische Küche.

Vergangenen Freitag landete die erste Maschine direkt aus Moskau. Größere Proteste dagegen gab es nicht. Für Spannungen sorgen allerdings zehntausende Russen, die nach Kriegsbeginn in der Ukraine nach Georgien ausgewandert sind – zumeist gut Ausgebildete, die international arbeiten, etwa in der IT-Branche. So seien die Mietpreise und die Preise für Lebensmittel erheblich gestiegen, sagt Nino.

„Fuck Russia“ – solche Parolen findet man an vielen Häuserwänden der georgischen Hauptstadt. Es ist nicht sicher, ob damit die Russen an sich oder Putins Politik gemeint ist. Am Eingang eines beliebten Restaurants im Zentrum von Tiflis steht „Putin ist böse“ auf einem Plakat. Und der Hinweis: „Wenn Sie dem nicht zustimmen, dann bleiben Sie bitte draußen.“